Episode 3: Monsieur Verdoux, Climax
Wir reden über Charles Chaplins Killermärchen Monsieur Verdoux aus dem Jahr 1947 und den Tanz-Horror-Streifen Climax von Gaspar Noé aus dem Jahr 2018. Und damit stehen auch schon zwei sehr unterschiedliche Filme auf dem Programm: Monsieur Verdoux ist der Versuch Chaplins sich von seiner Rolle des Tramps zu lösen. Johannes sieht in ihm ein ebenso charmantes wie ambivalentes Thrillerdrama, das seiner Zeit in vielerlei Dingen weit voraus ist. Florian ist überrascht, wie viele Momente des klassischen Chaplins und auch der Tramp-Figur Einzug in den Film erhalten haben. Climax ist vor allem ein radikaler Film, irgendwo zwischen Tanzfilm, Psychodrama und Horrorthriller. Während Florian geneigt ist, sich für diese Wahl zu entschuldigen, findet Johannes den Film deutlich weniger zermürbend als erwartet. Seiner Meinung nach versagt Climax in seinem Vorhaben mit maximalem Shock Value eine düstere Geschichte zu erzählen. Und auch die Tanzchoreografien können Johannes nicht von den Socken hauen. Es gibt also einiges, über das wir diskutieren müssen…
Climax [Gaspar Noé]
(USA 2018)
Climax aus dem Jahr 2018 stammt von Gaspar Noe, einem der großen Filmemacher der New French Extremity und handelt von der eskalierenden Party einer französischen Tanzgruppe, die sich peu à peu vom hedonistischen Rausch in blanken Horror entwickelt…. Und eigentlich meint er es gut mit dem Publikum. Nach wenigen Minuten gibt dieser ungewöhnliche Tanzfilm bereits die Möglichkeit zur Flucht. Kaum haben wir gesehen, wie eine junge Frau, halb lachend halb weinend halb blutend in den Schnee gefallen ist, rollen auch schon die Endcredits. Wir könnten jetzt aufstehen, den Kinosaal verlassen, beziehungsweise Netflix schließen, und alles wäre gut. Diese Möglichkeit zur Flucht wird es nach ungefähr einer Dreiviertelstunde noch einmal geben. Wieder die Liste der Beteiligten, eine Verbeugung vor dem Soundtrack, Endcredits, Black. Wer danach immer noch sitzen bleibt, hat es wohl nicht anders verdient….
Monsieur Verdoux [Charles Spencer Chaplin]
(USA 1947)

Monsieur Verdoux, 1947 in Amerika erschienen, ist Charles Spencer Chaplins erster eher dramatischer Langfilm, ohne seine ikonografische kommödiantische Figur des Tramp, die ihn so berühmt gemacht hatte. Ich sage auch nicht Charlie Chaplin sondern Charles Spencer Chaplin, weil ich glaube dass es sein bis dato erwachsenstes Werk ist, auch wenn „Der Große Diktator“ vorher schon ein ernstes und konkretes Thema behandelte. In „Monsieur Verdoux“ spielt er einen Heiratsschwindler der nach der Hochzeit seine Opfer beizeiten dem Tode überführt, um seine eigene Familie durchzubringen. In seinem bisherigen Job habe man nach der Wirtschaftskrise keine Verwendung mehr gehabt.
Transkript
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: Podcast: Der mussmansehen Podcast - Filmbesprechungen Episode: Episode 3: Monsieur Verdoux, Climax Publishing Date: 2021-01-21T07:30:51+01:00 Podcast URL: https://podcast.mussmansehen.de Episode URL: https://podcast.mussmansehen.de/2021/01/21/episode-3-monsieur-verdoux-climax/ Johannes, du glaubst wirklich, die Welt braucht einen weiteren Podcast? Nein, eigentlich nicht, aber ich. Aber wenn wir einen Podcast machen zusammen, dann brauchen wir irgendwas Cooles, worüber wir reden können. Wie wär's mit Filmen? Du liebst Filme, ich liebe Filme, ist doch eine gute Idee. Ja, aber wir lieben überhaupt nicht die gleichen Filme. Ja, das könnte das Geile sein. Ich zeig dir Filme, die ich geil finde und du zeigst mir Filme, die du geil findest. Das heißt so Musicals aus den 50ern? Von mir, für dich, genau. Und koreanische Filme? Mit russischen Untertiteln, von mir, für dich. Oh Gott, okay. Aber du weißt, dass das für Menge Streit sorgen kann. Definitiv, das wird lustig. Ja, herzlich willkommen zum Muss Man Sehen Podcast. Hallo. Folge 3, wenn ich mich richtig erinnere. Folge 3, ja. Folge 3. Der Podcast, bei dem Johannes, der mir gegenüber sitzt gerade, und ich, Florian, über Filme reden. Und zwar nach dem Konzept, ich geb Johannes einen Film, den er im besten Fall noch nicht kennt, den ich sehenswert finde oder beachtenswert, aus welchen Gründen auch immer. Und Johannes gibt mir einen Film. Und da wir teilweise einen sehr unterschiedlichen Filmgeschmack haben, entstehen daraus hoffentlich interessante Gespräche. Und heute sind die beiden Filme zum einen Monsieur Verdu von Charlie Chaplin, den Johannes vorgeschlagen hat, und Climax von Gaspar Noyé, der von mir kommt. Und damit viel Spaß. Okay, dann starten wir gleich mit Monsieur Verdu, oder? Monsieur Verdu. Wir haben vorher Schnick Schnack Schnuck gespielt. Deswegen verzögert sich die Aufnahme um eine Stunde. So, dann stell ich den Film mal kurz vor. Monsieur Verdu, 1947 in Amerika erschienen, ist Charles Spencer Chaplins erster eher dramatischer Langfilm. Ohne seiner ikonografischen, komediantischen Figur des Tramp, die ihn so berühmt gemacht hatte. Ich sage auch nicht Charlie Chaplin, sondern Charles Spencer Chaplin, weil ich glaube, dass es sein bis dato erwachsenstes Werk ist. Auch wenn der große Diktator vorher schon ein sehr ernstes und konkretes Thema behandelte. In Monsieur Verdu spielt er einen Heiratsschwindler, der seine Opfer nach der Hochzeit bei Zeiten dem Tode überführt und das Geld nutzt, um seine eigene Familie durchzubringen. In seinem vorherigen Job habe man nach seiner eigenen Aussage nach der Wirtschaftskrise keine Verwendung mehr gehabt. Und damit gehe ich mich an. Plur, na, wie hat dir der Film gefallen? Es ist schön, dass ich jetzt gleich mit meinem Einstieg so ein bisschen deinen Einstieg konterkariere. Ich bin an den Film gegangen mit einer Erwartung einen Film zu sehen, in dem sich Charles Spencer Chaplin freispielt, sich befreit von seinem Erbe. Und ich war doch sehr überrascht, wie viel Charlie Chaplin und wie viel der Tramp in diesem Film steckt. Also zum einen Charlie Chaplin, was Inszenierungsmuster betrifft, was Humor betrifft und zum zweiten auch wie viel von dem Tramp der klassischen Chaplin-Rolle in diesem Monsieur Verdu steckt. Also gerade dieses Naive, dieses Unbedarfte, auch dieses Liebenswerte und Sympathische. Ich hatte das Gefühl, ich war die ganze Zeit erstaunt, dass doch so viel klassischer Chaplin, wie ich ihn kenne und auch sehr schätze, in diesem Film steckt. Er hat mir gut gefallen. Also es war ein sehr interessanter Film, ein sehr schöner Film. Ich habe was düstereres, was schwarzhumorigeres, was böseres erwartet. Dass diese Erwartung untergraben wurde, hat aber eher dazu geführt, dass ich sogar noch mehr Spaß an dem Film hatte. Das freut mich sehr. Es gab einige großartige Momente, bei denen ich auch wirklich viel lachen musste. Und auch vor allem in der zweiten Hälfte des Films, wenn er versucht, eigentlich sein schwierigstes Opfer umzubringen. Und es ist dann ja eine Slapstick-Nummer nach der anderen. Und ein Karlauer nach dem anderen, wenn er in der Rolle dieses Kapitäns, den er spielt, versucht diese Frau, die auch wirklich die nervigste und anstrengendste und auch garstigste Frau ist, die er hat, umzubringen. Und es geht halt jedes Mal schief und mehrmals stirbt er dabei fast. Das war unfassbar komisch und das war total lustig. Und der Film hat das geschafft. Und ich glaube, das wollte der Film auch, dass man die ganze Zeit mit seinen Protagonisten mitfiebert und hofft, dass er endlich erfolgreich ist und eigentlich bis zum Ende auf seiner Seite steht. Es ist schon bemerkenswert, wie viel Chaplin dafür tut, dass dieser Massenmörder so sympathisch wie eine Irgendmöglichkeit rüberkommt. Und ich finde es beeindruckend, dass er das so gut geschafft hat. Und das ist auch das, was in der Rezeption damals ihm das Genick gebrochen hat. Das war neu. Man hat einen Massenmörder nicht so sympathisch dargestellt. Und auch der Satz am Ende. Oh Gott, jetzt bringen wir alles durcheinander. Vielleicht gehen wir von Anfang an durch. Fangen wir doch mit der ersten Szene an, in der Monsieur Verdu zu sehen ist. Wir sehen keinen Mord von ihm. Das ist etwas, was sich durch den gesamten Film zieht. Wir sehen nicht, wie Monsieur Verdu tatsächlich jemanden umbringt. Das, was einem Mord am nächsten kommt, ist, wenn wir sehen, wie er gemeinsam mit dem Polizisten dagegen in der Mitteltee trinkt. Und wir wissen, der Polizist trinkt jetzt das Gift. Das ist das, was am ehesten eine Mordszene ist. Die erste Szene, in der wir Verdu sehen, ist genau das Gegenteil. Wir sehen, wie er ein armes, hilfloses Lebewesen, nämlich eine Raupe, verschont und rettet. Also er ist im Garten. Wir sehen im Hintergrund den Ofenkweim. Wir wissen, da ist eines seiner Opfer drin. Aber das ist nicht das Entscheidende. Wir sehen, wie dieser nette, elegante Mann durch den Garten schlendert und fast auf eine Raupe trifft und das sagt. Hey, oh, sorry, little fellow. Du musst aber aufpassen, das ist gefährlich, sonst tritt noch jemand auf dich drauf. Und der nimmt dann diese Raupe ganz zärtlich und setzt sie ins Gras. Toll, oder? Man weiß sofort, mit wem man es zu tun hat und mit wem man mitfiebern soll. Und das Schöne ist, er hat einem kurz vorher schon erzählt, und zwar sieht man als erstes seinen Grab. Misje Verdoux, 1880 bis 1936 oder so was. Und es fängt mit seinem Tod an und er erzählt uns quasi aus seinem Grab, dass er Heiratsschwindler war. Ja. Und erzählt einem aber auch gleichzeitig mit, dass das aus Not geschah. Und dass er es eigentlich bedauert, ausgerechnet dieses Business angefangen zu haben. Und dadurch soll man den ganzen Film irgendwie gleich Mitleid mit ihm haben, was wirklich ein Novum ist für die Zeit. Vor allem, weil es gab damals tatsächlich einen Ansprung, das habe ich noch mal recherchiert, einen Anstieg an Filmen über Massenmörder. Also über Serienmörder, sagen wir es so. Aber die waren alle entweder sehr düster und der böse Mann, wie kann er das tun? Oder eben Komödien, die wirklich so drüber waren. So der tollpatschige Mörder, der irgendwie nichts auf die Reihe kriegt. Das ist so ein bisschen Anklang von Marx Brothers, die dann später irgendwie so viel Scheiße gebaut haben. Aber so richtig psychologisch ernsthaft und trotzdem mit so komödiantischen Elementen, das gab es einfach nicht. Er nimmt sich tatsächlich viel Zeit, also er nimmt seinen Protagonisten auch ernst. Er macht ihn zwischenzeitlich schon zur Witzfigur, aber er nimmt ihn trotzdem ernst. Und er nimmt sich auch viel Zeit seine Verzweiflung zu zeigen und viel Zeit auch seine Menschlichkeit zu zeigen. Ich fand das eine unglaublich schöne Szene. Nachdem er nach dem ersten Mord und nach den ersten beiden Morden sehen wir ihn zum ersten Mal zu Hause bei seiner Familie. Und es ist vorher schon eine klare Rolle, in der er drin ist. Er ist elegant, er ist ein Chameur. Wir sehen wir ja auch noch nebenbei bei einem Hausverkauf eine Witwe umgarnt. Und klar ist, die hat erst sein nächstes Opfer auserkoren. Er tötet eine andere Frau ziemlich eiskalt. Man sieht den Mord nicht, wie gesagt, das ist das Thema des Films. Aber man sieht, wie er nachts in das Zimmer geht und auch mit düsterer Musik. Und er kommt morgens raus und er stellt das Frühstücksservice hin und räumt dann einen Teller weg. Also das ist schon tatsächlich das Maximum an Düsternis, was der Film da rausbringt. Aber dann passiert etwas ganz Außergewöhnliches. Er geht zu seiner Familie und er ist ein komplett anderer Mensch. Ich finde es so schön, wenn er plötzlich mit seiner tatsächlichen Frau interagiert und mit seinen Kindern. Und er ist einfach nur der liebenswerte Familienvater. Und ich hatte das Gefühl, das war ein Moment, wo Chaplin versucht hat, diese Rolle komplett nackt zu machen. Und zu sagen, okay, das ist aber eigentlich der Mensch. Und davor hat er die ganze Zeit gespielt und er ist auch manchmal kalt und er ist manchmal genervt und oft charmant. Aber in diesem Moment ist er nichts von dem. Er ist auch nicht charmant, er ist auch gar nicht so melancholisch, sondern er wirkt echt und glaubhaft. Das war eine großartige Szene, genau im richtigen Moment. Ja und vor allem finde ich, dass man nicht in die Verlegenheit kommt, was man auch hätte machen können als Chaplin. Zu sagen, wir lassen den Zuschauer unklaren, ob das jetzt sein nächstes Opfer ist, die Familie, in der er jetzt reingeht. Oder ob es seine eigene ist. Also er hätte das auch unklar lassen können länger. Aber es war von der ersten Sekunde an klar, okay, das ist jetzt der ehrliche Familienvater, der sich wirklich einfach Sorgen um seine Frau und sein Kind macht. Auch mit dieser Musik und der Kamera, du kommst da rein, du wirst in ein ganz anderes Szenario geworfen. Es öffnet sich auch, die Räume sind größer. Seine Frau sitzt im Garten und wartet auf ihn, sein Kind kommt ihm entgegengelaufen und du hast plötzlich so einen großen Raum. Davor gibt es oft diese Kammerspielmomente, diese herrschaftlichen Häuser, die relativ eng sind, die auch so ein bisschen beklemmend sind, trotz ihrer Opulenz. Und allein das Setting von seiner tatsächlichen Familie ist viel wärmer und viel herzlicher. Und dann kommt er in den Garten, dann sitzt seine Frau noch im Rollstuhl, seine Frau ist krank. Das wird natürlich ganz stark in die Richtung gedrückt, er macht das ja auch, um seine Familie zu schützen. Das war ein starker Moment, es war vielleicht ein bisschen kitschig. Ja, das habe ich auch gedacht, ich habe den Film jetzt lange nicht gesehen. Ich muss dazu sagen, es ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme, seit ich jugendlicher war. Also wirklich, ich habe ihn mit 14, 15, das erste Mal gesehen und war seitdem, weiß nicht, ich habe ihn immer wieder geguckt und fand es großartig. Und jetzt, nachdem ich ihn lange nicht gesehen habe, habe ich gemerkt, oh, da drückt aber ganz schön jemand drauf. Hast du ihn damals als Chaplin-Fan gesehen? Ich habe ihn damals, ja, ich habe ihn tatsächlich als Chaplin-Fan gesehen, weil ich vorher diese ganzen Shorts gesehen habe von ihm, die ganzen komischen Sachen. Und es kam alles von meinem Vater, der hat mir das alles gezeigt und hat mich, glaube ich, auch entsprechend vorbereitet darauf. Das ist jetzt ein ganzes Film, das ist ein bisschen ein ernsteres Thema, aber dieses Thema kommt auch einfach ran als Jugendlicher. Insofern war das genau der richtige Zeitpunkt, sich mit diesem Thema auszusetzen. Und dass es ausgerechnet der Typ mir rüberbringt, das Thema, mit dem ich vorher so wahnsinnig viel gelacht habe. Das war ein besonderer Moment. Und wie war das für dich vom Gefühl her? Hast du Chaplin gesehen in der Rolle? Weil er sieht natürlich, er sieht ja schon anders aus als die klassische Tramp-Rolle, die man von ihm kennt. Also mein Eindruck ist ein bisschen getrübt von dem, was ich darüber weiß. Chaplin hat mit dem Einstieg in den Tonfilm, den er ja mit Der große Diktator, das ist der Film direkt davor, gemacht hat. Und der Film direkt davor, Der große Diktator, ist halt so halb halb. Er hat sich gedacht, der Tramp kann eigentlich nicht reden. Aber er hat sich dann doch durchgerungen, eine Tramp-ähnliche Figur in den großen Diktator einzuführen, der dann auch geredet hat. Aber viele Sequenzen sind so stummfilmartig, einfach Slapstick-Sequenzen, mit Musik dann irgendwie unterlegt. Und er hat sich vorgenommen, anscheinend in jedem seiner Filme irgendwie so ein kleines Kopfnicken unterzubringen, in Richtung Tramp. Was ist ihm gelungen? Ja, und hat dann halt wirklich auch in Monsieur Verdu glaube ich sehr, sehr bewusst und sehr klar eingebaut, okay, das sind so meine selbstreferenzielle Ader. Weil der Tramp einfach den größten Teil seines Lebens bis dato irgendwie bestritten hat und bestimmt hat. Den kann man nicht einfach so loswerden. Und er führt ihn ja am Ende quasi zum Schafott. Man muss das schon auch sagen, dass er mit dem Film seine Figur des Tramp ein bisschen zum Schafott führt am Ende. Weil, kurze Begründung, grafisch gesehen passiert genau das, was in fast jedem Chaplin-Film vorher passiert ist. Eine statische Kamera sieht, wie der Tramp in den Sonnenuntergang geht. Und Monsieur Verdu wird am Ende auch in dieses Licht, in diese Hellen, diesen Torbogen geführt, wo wir dann nicht sehen wir. Also im Tod ist er allein. Wir sind begleitend bis dahin, aber dann ist Schluss und wir sehen nur, wie er da hinein läuft. Und das ist ein klassischer Tramp-Motiv. Und da führt ihn dann quasi zum Schafott. Aber auch in den späteren Filmen hat er immer noch solche Momente. Ja, es ist ganz witzig, weil der große Diktator, wo du sagst, der versucht sich vom Tramp zu lösen und der Tramp ist eigentlich als stumme Rolle angelegt. Für mich war die Figur im großen Diktator der Tramp. Ich habe da tatsächlich wenig Unterschied gesehen zu seinen Shorts, wobei ich die Shorts auch jetzt nicht so groß verfolgt habe. Wenn ich drüber nachdenke, was für klassische Chaplin-Komödienstücke ich gesehen habe, könnte ich nicht sagen, was was war. Also im Gedächtnis geblieben sind mir von Chaplin vor allem die Langfilme. Naja, das Problem ist natürlich in der Perspektive von heute. Du hast diese Rezeption nicht mehr so, wie du sie früher hattest. Wer guckt heutzutage solche Kurzfilme? Und wer kann noch nachvollziehen, wie der Humor funktioniert hat von damals? Es ist halt sehr in der Zeit verhaftet. Ich finde es übrigens schade, dass es so etwas nicht mehr gibt, auch wenn ich überlege, was Disney und die großen Konkurrenten Warner Brothers damals gemacht haben. Diese Mary Melodies und Silly Symphonies. Ja, ganz toll. Tolle Filmstücke und auch so toll diese Kombination aus Humor und Musik und Fantastik. Und Education muss man sagen. Und Education teilweise, aber das würde ich tatsächlich erst mal zur Seite kehren. Aber diese Form von kurzer Unterhaltung im Prinzip, das ist das Äquivalent des Songs im Film. Und das ist schade, dass es das heute nicht mehr gibt. Pixar hat das ein bisschen geschafft mit ihren Kurzfilmen. Aber ich würde mir sowas viel mehr wünschen. Auch das Konzept des Vorfilms ist eigentlich ein ganz tolles Konzept im Kino. Und wenn ich drüber nachdenke, was so schöne Kinobesuche waren, die mich begeistert haben, unabhängig vom Hauptfilm, waren das Kinobesuche, wo ganz überraschend dann doch nochmal ein Vorfilm gezeigt wurde. Ich finde, das ist was ganz Tolles. Und es ist so ein bisschen schade, dass das gestorben ist. Und dass es mittlerweile einfach diesen Fokus auf den langen Film gibt. Vorfilme habt ihr wirklich nur nach Pixar gemacht, oder? Ich habe das irgendwann mal vor ein paar Jahren erlebt bei, ich glaube, The Incredibles. Wie heißen die? The Incredibles? Die beiden von mir? Genau. Ich glaube, da liefen Kurzfilme vorher. Pixar hat das sehr konsequent gemacht. Also bei Pixar gab es glaube ich, zumindest so in ihrer großen Zeit, sie sind eigentlich immer noch in ihrer großen Zeit, gab es vor jedem Hauptfilm einen kleinen Vorfilm. Deswegen gibt es auch so viele Pixar Shorts. Ich war tatsächlich, ich muss sagen, ich habe schon lange keinen Pixar Film mehr im Kino gesehen. Aber ich meine, mich zu erinnern, die Filme, die ich im Kino gesehen habe von Pixar, die waren immer mit einem Vorfilm. Und teilweise waren die Vorfilme besser als der Hauptfilm. Das kommt ja noch dazu. Ja, in der Kürze. Viele Sachen funktionieren tatsächlich im Kurzen und haben so einen Impact plötzlich, den man im langen Film, irgendwie verwischt, in langen Filmen oftmals so Themen, die vielleicht im Kurzfilm besser aufgehoben sind. Was ich gesehen habe, Netflix fängt an, Kurzfilme zu machen. Auf Netflix blotten bei den Empfehlungen immer mal wieder Filme auf, wo ich sehe, ah, 10 Minuten, okay. Oh mein Gott, wie cool ist das denn? Also es ist so, ich hatte jetzt und das ist total schrecklich eigentlich. Ich habe zweimal habe ich den Film angeklickt und habe gedacht, oh, der klingt aber gut. Dann habe ich gesehen, 10 Minuten. Dann dachte ich, nee, ich will jetzt einen langen Film gucken. Und dann habe ich den nicht geguckt, was total schade ist. Aber ich setze da so ein bisschen Hoffnung in die Streaming Services, dass sich einfach das Konzept Film auch wieder etwas weiter denken lässt. Dass es nicht nur um den großen zweistündigen Blockbuster geht, sondern dass auch ein Film von 5 Minuten, 10 Minuten, auch so ein Hybrid vielleicht so 45 Minuten möglich ist. Ja, 45 Minuten sind ja so klassische Kurzdokumentationen. Ja. Aber dann bräuchte Netflix vielleicht einfach so eine Playlist-Funktion für Kurzfilme. Ja, das wäre toll. Genau, das wäre super. Also Netflix, wenn ihr uns zuhört, was ich mir sicher bin. Natürlich. Dann auf in die Playlist zur Entwicklung, Netflix. Versuchen wir nochmal zum Monsieur Verdu zurückzukommen. Ja, gerne, sehr, sehr gerne. Es gibt einen zentralen Moment im Film, bei dem ich unglaublich gerne sprechen würde. Und zwar ist er tatsächlich für mich zentral in der Geschichte und auch zentral im Film, so nach der Hälfte der Laufzeit, wenn dieser Monsieur Verdu ein neues Gift von einem Freund bekommt und das ausprobieren will. Und sein potenziales Opfer ist eine junge Frau, die er durch Zufall auf der Straße aufgabelt. Es gibt keine Verbindung zwischen ihnen, es geht auch nicht um großen Betrug, es geht wirklich nur darum, dass er dieses Gift ausprobieren will. Und er entscheidet sich allerdings dagegen, dann dieses Gift auszuprobieren, weil diese Frau ihn bewegt mit ihrer Geschichte. Und dieser Frau begegt ja auch noch zweimal in dem Film. Und es ist jedes Mal so ein bisschen am Scheideweg. Also am Ende, ganz konkret, wird er verhaftet, nachdem er sie getroffen hat zum letzten Mal. Und dazwischen begegnet er ihr nochmal kurz, nachdem er den Polizisten umgebracht hat. Und ich fand, das waren sehr starke Szenen. Ich muss jetzt auf Wikipedia gucken, um zu schauen, von wem die gespielt wurde. Oh, das weiß ich auch nicht auswendig, leider. Es war eine sehr starke Rolle, sie hat das fantastisch gespielt und vor allem ihre Interaktion mit Chaplin war unglaublich bewegend. Weil es war natürlich auch so ein Moment, der die Menschlichkeit von ihm hervorheben sollte. Aber es war auch ein spannender Moment, weil es seine Lamoyance, die er den ganzen Film über andauert, etwas relativiert hat. Weil er wurde mit einem Schicksal konfrontiert, das deutlich schwerer war als sein Schicksal. Natürlich will Charles Spencer Chaplin an der Stelle was sagen. Und zwar relativ plump eigentlich, weil er auf ihr Stichwort der Liebe reagiert. Er fragt Spöttisch, ach Liebe? Und sie sagt, ja ja, sowas gibt es. Und dann reden sie darüber und das ist der Moment, wo er sich dagegen entscheidet. Noch nicht einmal, dass sie aus dem Gefängnis kommt oder dass sie noch andere tragische Elemente hinzufügen. Sondern wirklich das Moment, diese Frau hat liebt jemanden, der sogar gestorben ist. Er war auf sie angewiesen. Er saß im Rollstuhl wie Verdus Frau oder so. Es geht auf jeden Fall darum, dass sie ihn noch mehr geliebt hat, weil er so schwach war. Auf jeden Fall steckt in ihr eine Liebe, die ihn einfach rührt und ihn davon überzeugt, sie gehen zu lassen. Und ihr sogar noch absurd viel Geld in ihr zu drücken. Und das ist der Moment, wo ich immer, ich komme hier nicht drum rum zu weinen. Auch wenn man ihn als kitschig begreifen kann, er verfehlt seine Wirkung bei mir nie und auch nach dem 200. Mal sehen nicht. Ich fand das vor allem so bewegend, wie er dann den Wein wegnimmt. Es ist eigentlich alles schon hingestellt, um sie zu töten. Und sie hat den vergifteten Wein vor sich stehen. Und dann reden sie und sie reden und sie erzählen und sie erzählen. Man sieht, wie Verdus bewegt wird von ihrer Geschichte. Und dann sagt er schließlich, da ist Kork im Wein oder so und stellt das Glas weg. So ein sehr schneller Moment, es passiert dann so sehr schnell, ich gebe ihm ein anderes Glas. Aber es ist so, gerade nach dieser sehr langen emotionalen Szene, diese schnelle Entscheidung, ich werde diese Frau nicht umbringen. Ich fand es auch großartig, eine wunderschöne Szene. Sie ist genau nach einer Stunde Laufzeit, ich habe nochmal geguckt heute Morgen. Sie ist tatsächlich, sie steht wirklich direkt im Zentrum des Films. Und sie ist auch für mich so ein bisschen der Moment von dem Stimmungswechsel. Danach kommt nämlich eine sehr lange, sehr komische Phase. Also komisch im Sinne von lustig, wo ich das Gefühl hatte am Anfang, in der ersten Stunde geht es wirklich darum, diesen Monsieur Verdus kennenzulernen und auch zu sehen, wie er erfolgreich ist mit mehreren Morden. Ich glaube, drei Frauen sind es letzten Endes, die er in der ersten Hälfte des Films umbringen. Und dann kommt, nach diesem emotionalen Moment, tötet er den Polizisten, der ihm auf der Spur ist. Und dann versucht er als Kapitän seine ganz gruselige Annabelle umzubringen. Die Annabelle, auch fantastisch gespielt. Ganz fantastisch gespielt. Von Maya Ray, glaube ich, heißt sie. Oder wie heißt sie? Moment. Marilyn Nash heißt übrigens die Schauspielerin, die das Mädchen spielt, die keinen Namen hat. Einfach nur The Girl, wenn ich das richtig sehe, bei Wikipedia. Genau, aber Annabelle, fantastisch. Annabelle, Martha Ray spielt sie. Und die ist glaube ich auch Komikerin gewesen in der Zeit. Natürlich dann perfekt besetzt. Es gibt ein paar ganz tolle Behind-the-Scenes-Fotos und auch zwei, drei abgebrochene Szenen, wo man sie so ein bisschen menschlich sieht und man sich total freut, dass diese Frau einfach das so großartig hinkriegt. Sie ist wirklich toll. Eine ganz, ganz tolle Frau anscheinend. Und dann geht es ja wirklich Schlag auf Schlag. Er versucht sie umzubringen und er scheitert jedes Mal. Er versucht sie zu vergiften. Er versucht sie zu ertränken. Es funktioniert alles nicht. Und er ist mehr und mehr genervt von ihr. Und es ist so ein fantastisches Zusammenspiel. Seine Genervtheit, ihre Gastigkeit und diese misslungenen Morde. Und diese Slapstick-Szene, wie sie und er zusammen Wein trinken. Er hat sich seinen gesunden Wein, damit er nicht ihren Vergifteten trinken muss, hingestellt. Und es steht auf so einem Tablett. Und sie trinkt und trinkt den Wein und es passiert nichts. Und das liegt halt daran, dass die Haushälterin vorher das Glas mit dem Gift, was ihr im Bad hat stehen lassen, was halt getarnt war als Wasserstoffperoxid, womit sie ihre Haare färbt, das hat sie aus Versehen runterfallen lassen. Das Gift war weg. Und dann hat sie es schnell ersetzt durch dieses Wasserstoffperoxid-Zeug. Und naja, Wasserstoffperoxid ist vielleicht jetzt nicht so geil für den Magen, aber hat sie jetzt nicht umgebracht. Und er sitzt da, trinkt seins, sie trinkt ihrs und sie stirbt und stirbt nicht. Und er guckt sie an, versteinert und sie wundert sich, was ist denn los, was ist denn so missmutig drauf. Und dann, als sie sich zu ihm umdreht, dreht sie das Tablett mit um und dann steht ihr Wein bei ihm. Und er trinkt davon und sagt, das ist doch ganz lecker eigentlich, auch wenn es so Gesundheitszeug ist. Und stellt dann fest aber, dass es ihr Wein war und denkt, dass er vergiftet ist. Und es war eine so großartige Szene. Da kommt der Chaplin durch. Total. Und dann gibt es noch diese Szene, wo sie zusammen auf dem Boot sind, wo sie rausfahren. Wo sie dann irgendwie am Spiel endet, sie fallen beide ins Wasser, er fällt ins Wasser. Er fällt am Ende ins Wasser und er kann nicht wirklich schwimmen, als Captain, den er spielt. In dieser Rolle ist er sowieso so schön. Ich finde auch, er versucht tatsächlich mehr den Captain zu spielen. Er ist strenger, er ist nicht so charmant wie in den anderen Rollen, die er spielt. Er ist genau strenger und er kommandiert seine Frau auch ein bisschen rum. Und dadurch kommt es auch zu schönen Kämpfen zwischen den beiden, weil beide irgendwie so ihren Status ausspielen wollen. Und beide eigentlich so sich ihres Status sehr bewusst sind und miteinander dadurch ständig so ein bisschen im Klinch sind. Ja, das Schöne ist, er erzählt ja seinem anderen Opfer vorher, dass er tatsächlich umbringt, dass die Banken krachen gehen werden und so. Und dann holen sie ganz hektisch das Geld von der Bank und dann hat er es halt und kann sie umbringen. Das war Lydia, das zweite Opfer? Lydia, genau. Ja, die so ernst daher kommt. Lydia ist auch die, die ihm nicht so wirklich vertraut, ne? Genau. Das ist auch ganz spannend, diese Szene, wo sie drüber reden und sie sagt ihm sogar einmal so ganz offensiv, naja, ich traue dir nicht so ganz. Und dann hat er auch nie geschrieben, sie veröffnet die Tür mit, ich dachte, du wärst in Indochina und warum hast du denn keine einzige Zeile? Und er sagt, ich habe dir jeden Tag geschrieben, es sind meine Briefe nicht angekommen. Und dann holen sie das Geld von der Bank. Und später eben Annabell sagt ihm dann halt später, und du wolltest mir erzählen, dass die Banken krachen gehen, nichts ist passiert. Und man merkt, dass er das immer wieder versucht auf diese Art und Weise. Das ist großartig. Das ist fantastisch. Und das Ganze mündet, diese Annabell-Geschichte mündet dann ja in wirklich eine großartige Slapstick-Nummer, als er es endlich geschafft hat, diese Witwe von ganz am Anfang zu überzeugen, ihn zu heiraten. Und dann ist diese Hochzeit und dann taucht da diese Annabell auf. Großartig. Und er muss sich natürlich verstecken, weil plötzlich ist er in diesem Rollenkonflikt, er heiratet gerade eine andere Frau. Und dann steht diese Annabell und auch so sehr exponiert und sie redet laut und lacht laut. Das Lachen ist das, was ihn am Ende irgendwie auch aufmerksam macht darauf, dass sie da ist. Und er brustet erst mal das, was er gerade trinkt in den Nacken des vorgestehenden. Und das fand ich war Chaplin in Reinkultur. Und das zielt sich durch die zweite Hälfte des Films wirklich permanent. Die zweite Hälfte des Films ist sehr lange eine reine Comedy-Nummer, eine Abfolge von tollen, großartigen Comedy-Stücken. Der Comedy of Murders, nicht umsonst ist es das Untertitel des Films. Ja, aber fantastisch. Die zweite Hälfte des Films kam dann auch tatsächlich unerwartet, weil ich dachte in diesem zentralen Moment, wo er sich dagegen entscheidet, das Mädchen umzubringen. Oh, jetzt ist es aber so sehr schwer, auch sehr melancholisch, sehr sentimental bis zum Kitsch. Und dann kommt einfach nur diese Abfolge von humoristischen Szenen. Und dann gibt es diesen harten Cut. Ich würde gerne noch mal kurz zurückgehen, weil du vorhin sagtest, dass man nicht sieht, wie die Frauen umgebracht werden und so. Gerade bei dieser Lydia, finde ich, hat Chaplin es geschafft, fast schon Hitchcock-Niveau zu erreichen. Weil er hat diese eine Einstellung, wo sie gemeinsam langsam die Treppe hinaufgehen, er ganz ruhig sagt, wir schaffen das, kein Problem, geh ins Bett. Und dann geht sie schon ins Zimmer, er steht noch an dem Fenster, wo der Mond scheint, und macht einen lyrischen Monolog, den er da hält, und die Musik treut und baut sich auf. Und dann geht er halt auch ganz zählenruhig zu ihr rüber, man weiß, jetzt würde sie umbringen. Und dann kommt diese Transition, die vielleicht auch nicht, ich weiß nicht, wie oft die damals schon gemacht wurde, eine ganz tolle Transition von Nacht zu Tag. Und er kommt dann raus, die Musik beschleunigt sich, er ist wieder im Geschäftsmodus, hat dieses Geld in der Hand, setzt sich unten hin und zählt das Geld. Was er den ganzen Film über immer wieder macht, zählt Geld auf eine absurd schnelle Weise, total ernstes Gesicht und so geschäftsmäßig. Und es ist eigentlich so ein Kernstück seines Charakters, dass er dieses Geschäftsmäßige dann durchzieht. Er ist auch so kalt in diesem Moment, das war auch für mich vor allem eine kalte Szene. Wie gesagt, das ist das, was dem Mord am nächsten kommt, und das war auch wirklich eine grausame Szene. Und ich finde es gut, dass du Hitchcock sagst, weil das war natürlich total Suspense. Wir wissen, sie ist das Opfer, wir wissen viel mehr, als sie weiß, wir sehen, es wird jetzt ein Mord geschehen, wir können nichts dagegen tun. Also wirklich eine sehr dramatische und sehr, ja gruselige ist vielleicht das falsche Wort, aber eine wirklich dramatische Szene. Ich glaube auch dramatisch, weil man in dem Moment verliert natürlich der Charakter zu seiner Unschuld. Obwohl er auch vorher schon umgebracht hat, ist das der Moment, wo der Charakter, Monsieur Verdoux, wirklich seine Unschuld verliert, weil wir sehen ihn eiskalt. Wir sehen ihn nicht morden, aber wir sehen, wie kalt er und wie präzise er vorgeht. Und es ist klar, was er da macht und warum er es macht. Und das wird einfach innerhalb von fünf Minuten mit einer kalten Strenge erzählt. Und das ist was, was man, glaube ich, damals auch Chaplin kaum zugetraut hat. Obwohl der große Diktator ja auch schon viel gebracht hat in der Richtung. Aber ich glaube, das ist etwas, wenn man seine ganzen alten Shorties kennt und denkt, was für ein lustiger Typ. Und dann kommt sowas um die Ecke, ist schon beeindruckend. Ja, definitiv. Okay, ich habe auch noch Notizen. Ja, ich wollte auch gerade kurz was nachgucken, weil du gesagt hast, der erreicht fast Hitchcock-Dimension. Das ist ganz witzig, weil Hitchcock damals schon ein großer Filmmacher war. Aber wenn ich mich richtig erinnere, müssen wir das unbedingt rausschneiden, dann sind das nämlich falsche Informationen. Wenn ich mich richtig erinnere, war das in der Zeit, bevor Hitchcock diesen unheimlichen Thriller für sich entdeckt hat. Du meinst, Hitchcock hat vorher schon auch dramatische und spannende Filme gemacht. Diese Art der Suspense, würde ich behaupten, ist eher im Hitchcock-Film zehn Jahre später zu finden. Also, Psycho ist von 1960. Ja. Jetzt mal ganz kurz schauen. 1947 ist Monsieur Verduner. Ja, aber rausgekommen, er hat zwei Jahre daran gearbeitet, also schon angefangen zu drehen. 45 nehme ich an. Ja, Cocktail für eine Leiche war 1948. Oh. Cocktail für eine Leiche ist Hitchcock's Entwurf einer Murder-Comedy. Der Fremde im Zug war 1951, das sind für mich die Filme, die dieses Suspense-Motiv haben. Bei Anruf Mord war 1954, Das Fenster zum Hof 1954. Verduner hat das durchaus gepredatet. Schreckliches Wort. Schön. Ja, das ist großartig. Das ist wirklich eine der Szenen, die mich nachhaltig beeindruckt haben, was seine Inszenierungsfähigkeiten betrifft. Definitiv, da bin ich ganz bei dir. Okay, wir müssen übers Ende reden. Wir müssen übers Ende reden. Ich hatte nach der Freude über den Slapstick gesagt, dann kommt ein sehr harter Cut. Ja. Und dann kommen wir ja auch ganz schnell zum Ende. Und zwar tatsächlich, wo ich fand, wo die Stimmung wieder komplett aufgebrochen wurde, weil es dann im Zeitraffer einmal gezeigt wird, jetzt kommt der Faschismus, jetzt kommen die Krisen und jetzt geht es bergab. Und dann gibt es dieses Wiedersehen mit der jungen Frau. Die inzwischen einen Munitionsfabrikanten geheiratet hat. Genau. Wo dann die große Kriegskritik und das ganze drum herum kommt, was auch einer der großen Pluspunkte bei Chaplin ist, finde ich. Der hat eine Haltung. Ja. Der hat die Haltung ja auch schon als Tramp, aber da hat er die Haltung sehr naiv. Natürlich geht es immer bei Chaplin darum, den kleinen Mann nach vorne zu stellen und zu sagen, hier so geht es der Unterschicht. Und über die Oberschicht machen wir uns tendenziös eher lustig. Und daher kommt auch so ein bisschen die Tendenz, warum J. Edgar Hoover damals, als das FBI gegründet wurde, den Kommunismusvorwurf gegeben hat. Warum Chaplin so stark in Bedrängnis gekommen ist und dann ja auch ausgewiesen wurde aus Amerika. Übrigens auch zu der Zeit als Monsieur Verdu erschien. Das war für mich eine ganz interessante Frage, die ich dir stellen wollte. Ja? Der Ärger, den Chaplin hatte mit den USA, mit der US-Regierung, mit Hoover, mit dem FBI, war der Film die Ursache dafür, die Hauptursache dafür? Einfach ein Mitgrund oder eine Reaktion darauf? Weil er schießt dann ja auch ganz deutlich in die USA in seinem Schlussmonolog vor Gericht. Das tut er. Und ich glaube, das ist ein Parallelding. Das hat früher angefangen, das Problem. Das hat damit angefangen als Chaplin. Chaplin wurde irgendwann gebeten, einzuspringen für jemand anderes, für einen Politiker, der eine Rede halten sollte in New York pro Kriegseintritt von Amerika. Amerika sollte in den Krieg eintreten, um ihn schneller zu beenden, damit das mit Hitler endlich ein Ende hat. Und Chaplin hat sich dann dafür eingesetzt. Und zwar aber, dass sie sich der Sowjetunion anschließen. Und dass sie eine neue Front aufmachen zusammen mit der Sowjetunion, um dort den Krieg zu beenden. Seitdem hat Chaplin das immer wieder gemacht und sich dafür Spenden gesammelt, dass das gemacht wird und dass die Truppen unterstützt werden können. Und alles mit der Maßgabe, dass wir endlich den Krieg beenden. Und eben aber auch Sympathie zur Sowjetunion. Und dann... hieß die damals überhaupt Sowjetunion schon? Ja. Okay. Nicht, dass ich dir Scheiße erzähle. Und das war der Anfang dafür, dass J. Edgar Hoover das genommen hat, um sich profilieren zu... Also ich unterstelle ihm das mal ein kleines bisschen, aber es ist auch einigermaßen Konsens unter den meisten, soweit ich das hier sehen kann. Dass J. Edgar Hoover für sich einen Erfolg brauchte, um zu rechtfertigen, was er überhaupt tut mit dem FBI und so. Und da hatte er eine Blacklist quasi. Und Chaplin war da ganz oben drauf. Und dann hat er sich halt Chaplin genommen, um ein Exempel zu statuieren, zu sagen, das ist ein Kommunist und den müssen wir loswerden. Hat sehr viel mit der Presse so krumme oder nicht krumme Dinge gemacht. Die Presse hatte irgendwie auch... da ist auch Geld geflossen. Und dann gab es so ein paar Filmfirmen, die ihre eigenen Schauspieler von der Liste nehmen lassen konnten, quasi mehr oder weniger. Und naja, Chaplin hat halt immer integer geantwortet. Er hat sich nicht hingestellt und hat gesagt, nö, ich sympathisiere überhaupt nicht mit irgendwie kommunistischen Idealen. War aber tatsächlich anscheinend nie Mitglied in der Partei oder so. Es hat ja damals viele erwischt, also viele Leute aus der kulturellen Hollywood-Elite. Also, wenn mir mal als größtes Beispiel einfällt, das Dalton Trumbo, dem auch böse mitgespielt wurde von Hoover und vom FBI. Das ist ganz spannend, dass es ausgerechnet Chaplin erwischt hat. Ja, naja, ich glaube bei Chaplin ist das Problem, der war ein gutes Opfer, weil er a, nicht Amerikaner war, sondern Brite. Und b, weil er sich halt nie hat aufweichen lassen in seinen Aussagen. Weil er immer für das eingestanden hat, was er gesagt hat und er hat auch oft, muss man sagen, schnippisch reagiert. Also er hat schon auch immer dann so leicht überhöhte ironische Antworten gegeben. Der große Diktator, das war ja auch nicht frei von Kontroversen. Das war ja noch in der Zeit, als er den Film veröffentlicht hat, als die USA wirklich kein großes Interesse hatten, in den Krieg zu ziehen. Und vor allem in einem Zeitalter, in dem die USA die Sowjetunion als die größere Bedrohung angesehen hat als Hitler. Ja, und in der sogar teilweise drüber geredet wurde, dass Hitler ein potenzieller Verbündeter sein könnte gegen den Kommunismus. Und der große Diktator wurde ja in vielen Kinos nicht gezeigt, einfach auch weil die Kinos gesagt haben, hey, bei uns leben zu viele Deutsche. Und wollen wir nicht machen. Ja, Chaplin hatte damals sehr, es hat angefangen auf einer Party, ich habe seine Autobiografie gelesen. Da beschreibt er sehr eindrücklich, dass er auf einer Party plötzlich so ein paar Nazis hat rumlaufen sehen, was vorher nicht denkbar gewesen wäre. Was dann plötzlich salonfähig wurde und dann Parolen auch in Amerika irgendwie auf Partys so ganz salonfähig gesprungen wurden. Und sich Chaplin einfach gedacht, das geht so nicht. Wir können das auch nicht, also es ist schon schlimm genug, dass es dort drüben so massiv ist und was dort an Idealen rumgereicht wird. Und wenn wir hier anfangen, nicht irgendwie was dagegen zu tun, dann haben wir auch bald ein Problem. Ja. Da wäre du, der Schlussmonolog, auch ein bisschen ein Vehikel, um das, was er im großen Diktator sehr spezifisch auf Deutschland und den europäischen Faschismus bezogen hat, zu universalisieren. Das Gefühl hatte ich nämlich, dass es... Also die gleiche Botschaft, bloß noch mal in größerem Zusammenhang. Genau, ihr Westmächte, ihr seid auch verantwortlich, ihr seid auch nicht unschuldig. Definitiv, aber ich glaube, das ist eine grundsätzliche Sache, die er auf die eine oder andere Art und Weise ja immer versucht unterzubringen. Einfach dieses, bitte lasst uns alle friedlich zusammenleben und nicht irgendwelchen Scheiß bauen. Und er sagt ja nur ganz konkret, ein Mord macht dich zum, was sagt er, zum... Ich suche das mal gerade raus und schneide diese unsägliche Pause raus. Tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü, tü... One murder makes a villain millions a hero. Ja. Das ist sein Zitat. Ja. Er hat ja auch, ja... Also das ist auch, das fasst so unsagbar gut seine Haltung dazu einfach zusammen. Er ist sehr angruckslustig in dieser Schlussszene. Also, um das vielleicht noch mal kurz für die Zuhörerinnen und Zuhörer, er ist dann vor Gericht wegen seiner Morde. Und er hält ein Schlussblädoyer. Mhm. Und in diesem Schlussblädoyer sagt er noch mal, hey, guck mal, was ich gemacht habe. Und guckt mal, was der industrielle Komplex, würde man heute wahrscheinlich sagen, der rüstungsindustrielle Komplex alles getan hat. Und ich fand's krass, weil's zum einen natürlich fast wie eine Wiederholung des Schlussmonologs aus der Großen Diktator um die Ecke kommt. Du hast das Gefühl, wow, machst du das gerade wirklich noch mal, nach einer Mördergeschichte, machst du noch mal so ein Schlussmonolog, so ein Pazifistischen? Mhm. Also ich war auch irritiert zuerst. Okay. Aber er ist nicht so ausgeufert wie beim Großen Diktator. Er ist nicht so ausgeufert, aber er hat denselben Parathos, dieselbe Dringlichkeit. Ja. Und dann fand ich's wirklich krass, dass er tatsächlich, dass es eben, dass sein Ziel ganz eindeutig Amerika ist. Mhm. Es geht einfach um die Rüstung, um die Kriegspolitik Amerikas. Und das war schon so, wow, okay, das ist mutig. Guts brauchst du dafür, um das so zu machen. Mhm. Also zum einen so in der Zeit, und es geht ja noch weiter, er ist ja dann später in seiner Zelle und ein Priester kommt. Und allein, dass ein Priester mit einem Serienkiller in einem Raum dort ist, dass der Priester da reingeschickt wird, das ist gar nicht, das war ein Affront damals. Ah. Das ging eigentlich nicht. Und die unterhalten sich ja, und Chaplin gewinnt den Dialog quasi. Die reden ja darüber, hier, Gott, und willst du nicht Frieden mit Gott machen? Und er sagt, mein Konflikt ist nicht mit Gott, mein Konflikt ist mit dem Menschen hier. Ja. Und, ja. Bevor er sagt, one murder makes a will and millions a hero, sagt er, wars, Konflikt, it's all business. Also es ist schon, es ist schon krass, tatsächlich eine krasse Politiker Aussage. Es ist im Prinzip den Pazifismus der Nachkriegszeit eigentlich antizipiert, das, was sich später in den 50er, in den späten 50er, in den frühen 60er Jahren sich langsam entwickelt hat als Hippie-Bewegung. Das antizipiert er damit ja schon fast. Also auch so diese ganz klare Stoßrichtung gegen die industrielle und wirtschaftliche Seite des Krieges. Also ich würde sagen, dass der Spruch, er ist seiner Zeit voraus, mit diesem Film erfunden wurde. Das ist vielleicht ein bisschen viel gesagt, aber ja. Es ist auf jeden Fall... Aber es stimmt, dieser Film ist wirklich seiner Zeit voraus in ganz vielen Dingen, finde ich. Und das ist halt schön, weil Chaplin es geschafft hat, sich nochmal neu irgendwie aufzustellen. Und nachdem er eine riesen Karriere gemacht hat und eigentlich hätte er nicht nochmal irgendwas machen müssen. Aber er musste, also einfach das innere Bedürfnis, wie auch beim großen Diktator, das hätte er auch schon nicht mehr machen müssen. Er hatte das tiefe Bedürfnis, sich mitzuteilen. Das ist toll. Ich glaube, ich muss nochmal was Kontroverses sagen. Ich weiß nicht, ob für mich der Schlussmonolog funktioniert. Ich glaube, dieses Blédoyer ist Fehler im Platz, zumindest aus dem Mund des Protagonisten. Ich finde es ein bisschen forciert, also grundsätzlich diese politische Botschaft am Schluss noch da mit reinzupacken, weil die wirklich so für mich auf den letzten Drücker gekommen ist. So in letzter Minute nochmal so, zack, jetzt kommt nochmal meine politische Botschaft, vergleicht meine Mordserie mit der Mordserie des Militärs. Und ich hätte es spannender gefunden, wenn sie den Verdue-Charakter am Ende geschlagen hätten lassen. Wenn Chaplin gesagt hätte, okay, der Verdue-Charakter hat jetzt alles verloren, er ist jetzt irgendwie am Ende, er ist jetzt irgendwie geschlagen und er geht ohne große Rede jetzt in den Tod. Ich fand es auch, es gibt dann ja auch diese Szene, die für mich ähnlich problematisch ist, dass er dann sagt, dass noch einmal so seine Unschuld betont werden muss, wenn ihm eine Zigarette und ein Rum angeboten werden und dann sagt er, ich trinke nicht und ich rauche nicht, nee, lass das mal alles weg und dann sagt er, Moment, wisst ihr was, ich hab noch nie in meinem Leben rumgetrunken, ich trinke noch ein Glas rum und dann wird noch einmal so voll draufgehauen, hey, guck mal, wie naiv, wie unschuldig und wie liebenswert dieser Typ ist. Ja. Ich hätte es spannender gefunden, wenn dieses Ende getragener und tragischer geblieben wäre, nicht noch mal durch die politische Botschaft aufgebrochen und nicht noch mal durch diese letzte Betonung der Naivität des Protagonisten aufgebrochen. Ich glaube, dass das auch seiner Zeit zu schulden ist. Ich glaube, das war die Zeit der großen Reden und der großen Plädoyers. Und wenn man, ich glaube fast, dass das Publikum das vermisst hätte, wenn er es nicht getan hätte. Aber er auch, er ist auch einfach ein Typ für große Ideale und große Reden. Nein, das war, glaube ich, nicht fürs Publikum, das war für Chaplin, das hat Chaplin für sich und für seinen Seelenfrieden gemacht. Und er hat damit auch ein bisschen den Schluss vom großen Diktator wiederholt. Na gut. Ja, das Spannende ist, dass die amerikanische Zensur schon beim Drehbuch, man musste ja damals die Drehbücher schon einschicken, bevor man überhaupt anfängt zu produzieren, die haben damals schon ganz viele Sachen, die eigentlich hätten anders sein sollen im Drehbuch, moniert und Chaplin musste umschreiben, viele Sachen. Es wäre noch kontroverser geworden, eigentlich. Können wir einmal ganz kurz noch mal auf das Drehbuch zurückzusprechen kommen? Vielleicht hast du dann noch mehr Hintergrundinformation, weil ich habe dann plötzlich den Namen Orson Welles gelesen. Ja, genau. Und dachte so, wow, es sieht so ein bisschen aus, als hätte Orson Welles eine wirklich makamere, schöne, düstere Welles klassische Thriller-Geschichte im Kopf gehabt. Und dann hat Chaplin das Boot geentert, hat Welles von Bord gestoßen und hat daraus eine merkwürdige Mixtur aus schwarzer Komödie, Tramp, Tragikomödie und charmantem Serienklarfilm gemacht. Aber vielleicht irre ich mich auch. Ja, ich weiß nicht, ob ich den vielleicht lieber totgeschwiegen hätte, dieses Problem, aber es existiert, ja. Also, es ist so, bevor der Film überhaupt rausgekommen ist, beziehungsweise überhaupt in Chaplains Kopf war, war er in Kopf von Orson Welles, weil es gab einen Typen, Landrew, den es tatsächlich gab in Frankreich, der dieses Konzept seines Lebens fuhr, der machte das so. Und Orson Welles dachte sich, das ist doch großartig, lass uns eine Reihe von Dokumentarfilmen machen, unter anderem eben über diesen Typen. Und wollte Chaplin als Hauptfigur besetzen. Aber eben unter seiner Regie. Und Chaplin wollte nicht, also nach einigem Hin und Her, wollte Chaplin dann nicht unter anderer Regie als seiner eigenen arbeiten. Und hat Orson Welles dann diese Idee und das Drehbuch, wie es bis dahin stand, abgekauft. Und dann hat er aber eben im Drehbuch sehr viel geändert, sodass es am Ende nur noch heißt, nach einer Idee von Orson Welles. Und nicht mehr Drehbuch Orson Welles. So. Und Chaplin sagte sogar später, wenn er gewusst hätte, wie sehr sich Orson Welles dann darüber aufregt, hätte er ihm gar keinen Credit gegeben. Weil also die waren, die sind wirklich aneinandergeraten und Orson Welles hat Chaplin dann als dummen Dieb bezeichnet. Und das war kein schönes Verhältnis dann mehr. Das kann ich mir vorstellen. Ich bin nicht der größte Orson Welles-Kennner, aber das, was ich von Orson Welles gesehen habe, ich hab nicht ... Nein, in diesem Film ist nicht mehr viel von Orson Welles übrig. Es hat mich nichts an Orson Welles erinnert. Es gab keine Szene, wo ich dachte, das ist doch die Handschrift von Welles, zumindest narrativ. Der Anfang ist ähnlich dem, was Orson Welles geschrieben hat. Ja. Nun gut, der Film wurde damals eher schwierig aufgenommen. Seine Hardcore-Fans sind natürlich ins Kino gerannt. Das heißt, die ersten zwei, drei Wochen liefen gut für Chaplin. Danach wurde es mau und war nur eigentlich in Europa richtig erfolgreich, und zwar in Frankreich. In Deutschland, glaube ich, gab es, wie auch beim großen Diktator und auch bei Limelight später, große Verzögerungen mit der Veröffentlichung. Ich möchte gerne die Synchronisation einmal vorheben, die ich wirklich sehr gelungen finde von diesem Film. In Deutschen funktioniert dieser Film sehr gut. Die deutsche Synchronisation? Wird inhaltlich was geändert? Inhaltlich hab ich das Gefühl, dass sie ein, zwei Sätze so schreiben, dass sie dem Deutschen besser verständlich machen, was Chaplin meint. Und auch emotionaler werden. Der Schlussmonolog ist ein kleines bisschen anders. Und ich hab das Gefühl, fast ein bisschen mehr auf dem Punkt. Das ist jetzt meine Erinnerung an das, was vor ein paar Jahren war. Ich weiß es nicht mehr, weil ich jetzt gerade erst den Film auf Englisch gesehen habe und nicht mehr auf Deutsch. Aber als Kind hab ich ihn natürlich auf Deutsch gesehen und habe Erinnerungen daran, dass manche Dialogfetzen tatsächlich anders waren und irgendwie auch ganz gut auf dem Punkt. Ja, interessant. Es gibt viele Wortspiele in diesem Film. Ich kann mir vorstellen, dass es einige Stellen gibt, die schwierig sind zu übersetzen. Zum Beispiel, wenn er sich als der Kapitän, er lernt in seiner Rolle als Kapitän, trifft er eine Frau, die er, ich glaub, die Witwe sogar, der vorher als jemand anderes das Haus verkauft hat, stellt sich dann vor als Bonheur. Und dann sagt die, äh ... Ja, genau. Und dann sagt er, irgendwie korrigiert er es sich, um ihr zu sagen, dass er einen guten Tag wünschen wollte. Und dann sagt er, er ist Bonheur. Und das ist so ... Mhm. Und es gab einige von diesen Wortspielen. Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig macht, den Film ins Deutsche zu übertragen. Aber ja, interessant. Hast du eine DVD auf Deutsch rumfliegen? Nee, leider nicht. Okay. Sonst könnte man da noch mal reingucken. Würde mich interessieren. Gerade bei diesen alten Filmen find ich's immer ganz spannend, bei der Synchronisation ins Deutsche mehr Bemühen näher am Original zu sein. Und damals wurde noch viel freier übersetzt und synchronisiert und auch teilweise wirklich Inhalt verstellt. Und ... Einige ... Und Dialoge wurden komplett abgeändert. Teilweise aus künstlerischen Motiven, teilweise aus politischen Motiven, teilweise aus Laziness. Nein, nicht aus Laziness. Auf gar keinen Fall aus Laziness. Aus Laziness passieren heute die Fuck-ups. Die haben sich damals sehr viel Mühe gegeben mit der Synchronisation. In Deutschland war ja auch immer Vorreiter, was die Synchronisation betrifft, weil die schon ganz früh angefangen haben, alles einfach ins Deutsche zu übertragen. Deswegen können wir so schlecht Englisch. Ja, das ist wirklich traurig. Unsere Synchronisationen sind einfach zu gut. Ja, beziehungsweise heute ist es halt so, dass wir immer weniger Zeit haben für immer mehr Filme. Weil Netflix so viel auf die Firmen ablädt und sagt, hier, macht man, macht man, dann haben die plötzlich ein riesiges Volumen an Arbeit und nicht genug Personal dafür. Und nicht genug Leute, die das wirklich gut übersetzen können. Also, ja, es ist wahnsinnig schwierig. Deswegen, finde ich, möchte ich immer wieder eine Lanze brechen für die alten Synchronisationen. Die haben viel mehr Zeit gehabt und mehr Gedanken reingesteckt. Wenn ich an alte Synchronisationen denke, wie die Bud Spencer und Terence Hill-Filme, wo sie teilweise aus düsteren Spaghettiwestern lustige Komödien gemacht haben. Oh, ja, das können wir dem Publikum nicht zutrauen. Das muss irgendwie lustiger sein. Obwohl auf der visuellen Ebene schon sehr viel Witziges passiert. Also, der Kontrast kann gar nicht so krass gewesen sein. Aber inhaltlich haben sie tatsächlich das ein oder andere. Und es ist immer wieder ein Erlebnis, Filme, die man als Kind oder Jugendlicher in Deutsch geguckt hat. Zum Beispiel so was wie Bill & Ted's Excellent Adventure. Das hab ich nicht gesehen. Bill & Ted's Verrückte Reise durch die Zeit. Wo so Sachen wie Rock on Dude übersetzt wurde in volle Kanne, Horschi. Oh nein. Und es ist toll zu sehen, wie kreativ damals bei den Synchronisationen vorgegangen wurde. Um irgendwie Begriffe zu finden, die irgendwie das ausdrücken, was das Englische Original ausgedrückt hat. Das berühmteste Beispiel für mich ist Humphrey Bogart in Casablanca. He's looking at you, kid. He's looking at you, kid. Und ich hab lange gebraucht, herauszufinden, was es wirklich heißt. Ich hab gedacht, er sagt, he is looking at you, kid. Und dachte, er bezieht sich auf Gott. Könnte man meinen. Er sagt aber, he is looking at you. Ah, er sagt hier. Und es heißt eigentlich eher, Prost auf dich. Ja, he is looking at you, kid. Ist aber auch schwer zu übersetzen. Und er sagt im Deutschen halt, ich schau dir in die Augen, Kleines. Was? Ja. Was? Hä? Aber es ist auch in Deutschland so eine Ikone geworden durch diesen Satz. Ja, ja. Und dieses he is looking at you, kid ist genauso ikonisch im Englischen. Ja, ja, genau. Ich find's schön, dass die es wenigstens geschafft haben, dieses nette, erniedrigende, unterwerfende, das Frauen damals entgegengebracht wurde mit dem Kid, in das Kleines zu übersetzen. Das ist eine gelungene Übersetzung. Ach ja, die 50er-Jahre. Tja. In Casablanca waren das die 50er. 42. 42 Casablanca? Casablanca wurde noch während des Krieges gedreht. Wow. Über den müssen wir auch mal reden. Ich hab nämlich auch schon gedacht, wir müssen über Casablanca reden. Tatsächlich einer meiner liebsten Filme der Epoche. Ja. Und nicht wegen der Liebesgeschichte. Nein, um Gottes Willen. Alles drum herum ist fantastisch, die Liebesgeschichte ist nett. Ja, aber die Liebesgeschichte gehört schon rein. Gehört rein, definitiv. Die gehört auf jeden Fall rein. Klar, die ist die Story. Aber wenn in dieser französischen Bar die Franzosen, die unter Besatzung leben, dann die französische Nationalhymne anstimmen, um die Deutschen zu übersingen und alle feiern mit und alle jubeln, ist es, oh, Gänsehaut. Ist einfach großartig, oh mein Gott. Den hab ich auch mehrmals gesehen, also wirklich oft, weil das so ein großartiger, ja, und es ist Bogart. Ja, Bogart ist immer cool. Ja. Schön, okay, dann reden wir darüber dann mal demnächst. Ja. Dann machen wir jetzt eine kurze Pause und danach geht es weiter mit einem Film, der deutlich jünger ist. Deutlich jünger. Und doch etwas anders als Monsieur Verdu. Climax von Gaspar Noé. Bis gleich. Bis gleich. So, läuft wieder. Wir sind wieder da. Herzlich willkommen zum zweiten Teil, diesmal zum Film Climax, den Plor vorgeschlagen hat. Ja. Dann mach doch mal deine Einführung, Plor. Ich glaube, ich muss mit einer Entschuldigung starten. Danke. Tut mir leid, Johannes, dass ich dich schon wieder einem solchen Film zugemutet habe. Ich bin sehr stolz auf dich, dass du das durchgestanden hast. Das weißt du gar nicht, vielleicht hab ich dich abgebrochen. Das kommt auch jetzt gleich in meiner Einleitung schon zu Wort, dass man den Film ja durchaus abbrechen kann. Aber fangen wir an, Climax aus dem Jahr 2018 ist der jüngste Film von Gaspar Noé, einem der großen Filmemacher der New French Extremity. Ein Begriff, auf den wir bestimmt auch nochmal zu sprechen kommen. Und er handelt grob gesagt von der eskalierenden Party einer französischen Tanzgruppe, die sich peu à peu vom hedonistischen Rausch in planken Horror entwickelt. Und wie schon gesagt, eigentlich meint es der Film gut mit dem Publikum. Er gibt nämlich schon nach wenigen Minuten die Möglichkeit zur Flucht. Kaum haben wir beigewohnt, wie eine junge Frau halblachend, halb weinend in den Schnee gefallen ist, rollen auch schon die End Credits. Inklusive Hinweis darauf, dass diese Geschichte auf realen Ereignissen basiert. Wir können jetzt aufstehen, den Kinosaal verlassen bzw. Netflix schließen. Und alles wäre gut. Diese Möglichkeit zur Flucht wird es nach ungefähr einer Dreiviertelstunde noch einmal geben. Wieder die Liste der Beteiligten, eine Verbeugung vor dem Soundtrack End Credits Black. Wer danach immer noch sitzen bleibt, der hat das wohl nicht anders verdient. Und damit zu dir, Johannes. Ich musste ja weiter gucken. Ich glaube, es gab von Kishon mal eine Geschichte darüber, wie man über ein Buch redet, das man nicht gelesen hat. Da hat ihn mein Freund ein Buch gegeben und gesagt, das musst du unbedingt lesen. Und das nächste Mal, als wir ihn getroffen haben, habe ich es noch nicht gelesen. Und irgendwann war es aber so peinlich, dass er angefangen wird, über dieses Buch zu reden, ohne es gelesen zu haben. Es gibt eine tolle Liste von Filmen, von denen Leute behaupten, sie gesehen zu haben, ohne sie gesehen zu haben. Und es gibt wirklich so eine Top Ten. Also es gab wohl so eine Studie, eine Umfrage, und dann wurde das geguckt und haben dann bei der Umfrage, Gott sei Dank, erstaunlich viele Leute zugegeben, dass sie Filme XY nicht gesehen haben, aber ständig behaupten, das getan zu haben. Auf Platz eins war der Pate. Oh, aber der ist wirklich sehenswert. Ich finde ihn auch sehenswert. Ich habe ihn gesehen, wirklich. Hab ich ihn gesehen? Ja, ja, ich habe ihn gesehen. Aber das war so ungefähr die Art von Filme, also diese großen Klassiker, wo die Leute behaupten, ihn gesehen zu haben. Einfach, weil es zu peinlich ist, dass man ihn nicht gesehen hat. Bei Climax, Climax ist nicht so ein Film. Climax ist ja jetzt kein großer Film. Der hat auch, glaube ich, keinen großen Eindruck hinterlassen und auf jeden Fall nicht so einen großen Eindruck wie frühere Filme von Gaspar Noy. Und er ist tatsächlich, auch wenn man ihn mit anderen Filmen dieses Firmemachers vergleicht, harmloser. Allerdings ist er alles andere als harmlos. Er hat ja auch wirklich gute Kritiken bekommen. Es scheint ja wirklich gut aufgenommen worden zu sein, bis auf ein paar Stimmen, die so ein bisschen was moniert haben. Ich muss leider gleich am Anfang sagen, dass ich zu oft gedacht habe, was will der Künstler uns damit sagen? Und nicht reingekommen bin. Gar nicht? Ich bin nicht reingekommen mit dem Film. Das heißt, alles das, was der Film eigentlich mit mir machen möchte an emotionalen Tiefs, das ist alles an mir vorbeigegangen. Das ist spannend, weil ich fand den Film jetzt auch beim zweiten Schauen, fand ich war der Film wieder, wie beim ersten Mal schon, eine ziemliche Qual. Ich hab in meiner Rezension, die ich damals zu dem Film geschrieben habe, als ich geschaut habe zum ersten Mal, das war vor einem halben Jahr, nee, vor anderthalb Jahren. Im Sommer 2019 habe ich geschrieben als Schlusswort, um das einmal vorzulesen. Was bleibt, ist die Erinnerung an hypnotische Beats, wilde zuckende Körper, unfassbares Leid und ein wieder einmal wahnsinnig starken Film von Gaspar Noé, dem man für jede Sekunde dankbar ist, den man nun aber wirklich nicht ein zweites Mal sehen will. Und jetzt, als ich ihn zum zweiten Mal geguckt habe in Vorbereitung von unserem Gespräch, konnte ich das auch nur wieder unterschreiben, weil der Film ist unfassbar anstrengend, gerade so im letzten Drittel und innervierend und auch wirklich brutal, nicht nur zu seinen Protagonisten und Protagonistinnen, sondern auch brutal zu seinem Publikum. Ich finde es ganz spannend, dass du jetzt sagst, du bist nicht reingekommen und er hat bei dir emotional auch nicht so ein Gefühl von Beklemmung oder Angst oder Leid ausgelöst. Ich war irgendwann einfach genervt. Du warst genervt? Okay, weil er immer wieder an mir gerüttelt hat, der Film, aber den Schlüssel verloren hat, wie die Frau. Der hat den Schlüssel zu meiner Emotion irgendwo auf der Strecke verloren, weißt du? Und da hat die Tür nicht aufgekriegt zu mir, zum Zugang. Das ging nicht, das hat nicht funktioniert. Und irgendwann war ich genervt davon, dass er ständig an mir rüttelt. Ich wusste sozusagen, ich sehe sozusagen, was er will, aber er erreicht mich damit nicht. Und das ist schon wirklich hart dann auch, dem in Zeitlupe zuzuschauen, dass er an mir vorbei rennt, ist nicht schön. Ja, das kann ich mir vorstellen, interessant. Das war traurig und frustrierend. Ja. Na ja. Steigen wir mal mit der Struktur ein, weil die fand ich tatsächlich spannend. Das ist auch etwas, was ich gerne nach vorne stellen möchte, was ich als wirklich gut und toll, also mich hat sehr gefreut, dass er gleich am Anfang die Credits gebracht hat, dass er das immer wieder auch aufgebrochen hat und immer wieder einen neuen Film sozusagen angefangen hat, obwohl er keinen neuen Film anfängt. Finde ich schön. Fand ich wirklich ein tolles Mittel und eine gute Art und Weise, mir so Abschnitte aufzuzeigen oder mir irgendwie aufzuzeigen, das ist jetzt ein Film, der nach einem Filmmuster funktioniert, aber das gleichzeitig aufbrechen will. Finde ich toll. Er ist sehr streng strukturiert und gleichzeitig sehr ungewöhnlich, weil er hat am Anfang diese Schlussszene, was durchaus öfter vorkommt im Horrorfilm, im Thriller, in ganz vielen Genres, diese Antizipation des tragischen Endes. Mhm. Und dann ist er aber auch einfach wirklich knallhart und sagt, okay, der Film ist jetzt fertig, End Credits. Und dann kommt dieser relativ kurze Part, der eben einfach doch ziemlich lang vorkommt, wo die Clips gezeigt werden von den einzelnen Tänzern und Tänzerinnen, wie die befragt werden, was sie sich vorstellen, was für eine Karriere sie machen wollen. Und es ist etwas sehr Dokumentarisches. Man sieht diesen klassischen 4 zu 3-Fernseher und man sieht die Protagonistinnen, wie sie reden und wie sie interviewt werden. Und zwar geht es um ein Engagement in einer Tanzgruppe, die versuchen will, auch international erfolgreich zu sein. Und sie werden gefragt, ob sie sich das vorstellen können und ob sie das auf sich nehmen wollen, ob sie das schaffen mit langen Trainingseinheiten. Und es ist sehr dokumentarisch. Diese Dialoge wirken teilweise improvisiert. Mhm, die sind improvisiert, soweit ich das dann rausgefunden hab später. Und ich finde, das merkt man ihnen leider an. Man merkt es ihnen leider an. Es sind tatsächlich Tänzerinnen und Tänzer, ne? Also Gaspar Noé hat sehr bewusst nicht Schauspieler, keine klassischen Schauspieler gecastet, sondern er hat Leute von der Straße aufgelesen. Klingt jetzt ein bisschen krass. Ich hätte das nicht so gemacht. Er wird schon geguckt, wer auch gut spielen kann. Ich fand, die Schauspielleistung gehört nicht zu den großen Stärken des Films. Für mich gehört die Schauspielleistung zum Hinkefuß. Oh, okay. Das ist das Problem. Ich glaube, daran scheitert der Zugang zu mir. Ich fand, es gibt diese Momente gerade, wo man merkt, jetzt soll die Geschichte erzählt werden und jetzt soll tatsächlich was auf einer narrativen Ebene geschehen. Zum Beispiel, wenn die Beziehung zwischen den Geschwistern ausgelotet wird, wenn sie miteinander und übereinander reden. Da merkt man es. Aber gerade in diesen Improvisationen, wo die Leute einfach nur so aus dem Stehkreif reden, fand ich, hat das sehr gut funktioniert. Für mich war das auch ... hat das dokumentarische Moment am Anfang hat voll eingeschlagen und hat mir wirklich geholfen, die einzelnen Charaktere zu verstehen und auch Sympathie oder auch Antipathie zu empfinden. Ja. Ich fand das Konzept an sich ganz cool, diese Interviews am Anfang, die haben mich nicht getragen. Das Band ist irgendwann abgerissen. Ich konnte mich nicht weiter darauf einlassen, dass jetzt noch ein Interview kommt. Und es sagt ja niemand was Neues. Ab und zu kommt was, wo ich denke, da verspricht mir der Film einen späteren Verlauf, der aber leider nicht eingelöst wird. Es werden immer wieder Sachen geteasert, die überhaupt nichts mit dem Film zu tun haben. Das ist der Nachteil bei Improvisationen. Jeder wirft Sachen rein, die er gerade so toll findet. Aber ein vorher erdachter Dialog oder Monolog will ja auf etwas hinaus. Man merkt, dass die Schauspieler auf nichts hinauswollen, weil die wissen nicht, was später passiert. Das ist auch ein Teil davon. Es ist auch ein Teil von dem Konzept, dass es diese Redundanz gibt. Und dass es auch diese narrative Trägheit gibt, so könnte man es vielleicht nennen. Was ich ganz spannend finde, ist in dieser Szene, was am Rande passiert, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Das Ganze ist nämlich schön katriert in einem tatsächlichen TV-Screen. Und rechts und links hat Gaspar Noé links Bücher und rechts Filme gestapelt, als wolle er uns sagen, hey, passt auf, Leute, guckt schon mal so ein bisschen auf die Einflüsse, als wollte er schon mal so ein bisschen warnen, was in dem Film auf uns zukommt. Aber wenn ich jetzt schon abschweife und mir den Buchtitel durchlese, weiß ich nicht, ob das für den Film spricht. Hast du es getan? Nein, ich hab's tatsächlich nicht getan. Ich kann mal kurz auflisten. Wie gesagt, wir haben links Bücher stehen. Und zwar erstaunlich viel zum Thema Filmgeschichte. Also unter anderem eine Biografie von Fritz Lang und eine Biografie von Murnau. Und ein Buch über Taxi Driver offensichtlich. Aber dann daneben auch zum Beispiel Friedrich Nietzsche, Freud's Psychopathologie des Alltagslebens, was so eine weitere Auskundschaftung des Unterbewussten von Freud war. Ein Buch von oder über Louis Buñuel, Kafka's Die Verwandlung, eine Biografie von Patty Hears, das muss ich auch googeln, die wurde damals in Amerika von einer linksradikalen Gruppe entführt und wurde dann aber Teil dieser Gruppe und wurde später als Terroristin verurteilt und hat vor Gericht angegeben, dass sie unter Drogen gesetzt worden wäre, um diese Taten zu begehen. Ein Buch von Bakunin, dem berühmten Anarchisten und ein Buch über einen Künstler für erotische Fotografie Anfang des 20. Jahrhunderts. Es ist eine wilde Mischung. Man guckt da drauf. Und ich hab jetzt einmal auch pausiert, um noch mal genau zu gucken. Und das sind die französischen Titel. Ich musste dann auch jedes Mal googeln. Okay, was ist das überhaupt für ein Buch? Und dann, ah, okay, wir haben das hier mit dem und dem zu tun. Es ist eine wilde Mischung, aber sie zeigt ... Ich find, sie gibt schon einen ganz guten Einblick darin, wie Noé tickt und wie auch der Film tickt. Es ist äcklektisch, es ist wild und es ist so eine Mischung aus Psychopathologie, Horror und Anarchie, Drogen. Und die Filme, die er rechts auffährt, die sind auch primär aus dem Horrorbereich tatsächlich. Also er hat das Suspiria-Ligen, den Cielo-Klassiker von Dario Argento. Dann Zombie, der zweite Film aus der Living-Dead-Reihe von George R.Romero und unter anderem dann noch Possession, so einen großartigen, so realistischen Mystery-Film Anfang der 90er oder Ende der 80er. Also was er hinkriegt damit ist set the mood auf jeden Fall. Ich finde auch, selbst wenn ich nicht lesen kann, welche Titel da liegen, worauf er sich bezieht und so, bekomme ich im ersten Teil auf jeden Fall ein Gefühl für eine Stimmung, was dem Film auf jeden Fall zugute gehalten werden muss. Weil es ist nicht leicht, mit einfach nur Interviews eine bestimmte Stimmung herzustellen. Das ist schon cool. Ja, definitiv. Ich mochte diesen Kontrast zwischen den relativ harmlosen Interviews, wo es wirklich einfach auch um Tänzerinnen und Tänzer geht und ihre Leidenschaften und das, was sie sich vorstellen und was sie sich wünschen. Und diesen fast schon apokalyptischen Reigen links und rechts. Weil natürlich, wenn man dann liest Ornice, Bonoel und Kafka, dann fliegen natürlich auch Bilder durch den eigenen Kopf. Ja, genau. Es gibt so eine apokalyptische Erwartungshaltung auch irgendwie. Und das ist auf jeden Fall offensichtlich die Moderne, die es nur jeder angetan hat. Also es ist ganz stark Kunst und Wissenschaft und Philosophie der Moderne. Also eines Zeitalters, das vor 100 Jahren war, das eigentlich vorbei ist. Die hier in diesen Filmen, der von zeitgenössischem Tanz, unserer Zeit handelt. Und dann sind die Interviews vorbei und wir sehen die Tanzprobe und das anschließende Feiern. Da war meine erste Irritation, was ich nicht wusste, was ich vorher nicht gelesen habe. Der Film spielt 1992. Ja. Ich hab ihm allerdings nicht erkannt, dass es die 90er sind. Ich hab sofort an die 80er gedacht, als die Interviews in diesem Fernseher waren. Hab ich gedacht, aha, 80er-Ästhetik und so weiter. Dann war aber in den Szenen an sich von den 80ern nicht mehr viel zu merken. Sowohl musikalisch als auch kleidungstechnisch nicht unbedingt. Vielleicht zu einem oder anderen Anschlag, der aber auch einfach dem geschuldet werden könnte, dass es in den 90ern spielt, was mir aber nicht vermittelt wurde im Film. Sodass ich gleich vielleicht zu Unrecht dieses Spannungsfeld hatte. Okay, da hat jetzt dieses Stilmittel von den 80ern mit den Interviews in diesem Fernseher, die auch so ein bisschen diese VHS-Streifen und so weiter haben. Und jetzt wird das aber nicht eingelöst. Irgendwie. Ich weiß nicht. Irgendwie bin ich plötzlich wieder wo ganz anders. Dann machen die da irgendwie modernen Tanz und dieser typische Death Drop, den ich oft von RuPaul kenne, den sie da alle paar Sekunden im Tanz, in der Choreografie machen. Ich weiß nicht, keine Ahnung. Irgendwie war da schon für mich das Erste, was nicht ganz stimmte. Ich hatte tatsächlich überhaupt nicht das Bedürfnis, mich zeitig verorten zu lassen während dieses Films. Natürlich war da diese 80er-Reministenz mit dem Fernseher. Aber spätestens, als dann die eigentliche Handlung begonnen hat, die ja mit dieser choreografierten Performance anfängt, fand ich, war der Film ziemlich zeitlos. Es war auch dieser Tanz, dafür bin ich vielleicht auch zu wenig ... Bin ich zu wenig drin in der Tanzgeschichte. Für mich hatte der Tanz nicht so, das ist 90er, das ist Anfang 90er. Für mich hat er nicht das Gefühl erweckt, ich würde mir einen Tanz wünschen, der mehr in den 80ern stattfindet oder heute. Es hatte so eine Zeitlosigkeit, einfach weil dann die Energie im Vordergrund stand. Das, was dann plötzlich im Zentrum des Films stand, war einfach die Bewegung. Und dafür war man im Anfang zu stark ästhetisiert auf die 80er. Oder Anfang der 90er. Natürlich, der Film spielt in den 90ern, Anfang der 90er. Im Nachhinein, durch die Recherche, hab ich gedacht, jetzt verstehe ich auch ungefähr, was er da wollte. Weil der Fernseher natürlich auch in den 90ern da war. Es wird ja auch auf Berlin referiert, Anfang der 90er. Ganz klar, diese Berlin-Referenz ist ja auch so. Ich hab das nicht verstanden, mir war der Kontrast zu stark. Auch weil die Tanz-Szenen, ich auch nicht in den 90ern, sondern noch moderner verortet habe in meinem Kopf. Was vielleicht auch falsch ist, aber irgendwie ... Entweder er erwartet von mir als Zuschauer, dass ich das einsortieren kann, dann hat er das Falsche erwartet. Oder er erwartet von mir, dass ich wirklich wie du sage, alles zeitlos, aber dafür wäre das Anfangsbild mir zu festgelegt. Also, das ist ein 80er-Versteher. Deswegen kamen für mich diese Schere im Kopf, die ich nicht zusammenbekommen habe, zwischen der Ästhetik am Anfang und dem, was dann eingelöst wurde an Einsortierung. Du hast dir dann auch gewünscht, eine klare Zeit zu haben. Ja, wenn er schon so anfängt, dann wär das gut gewesen. Ja. Das hat sich bei mir komplett aufgelöst. Ich hatte den Tanz und die Atmosphäre auch tendenziell eher Ende der 90er verortet. Aber im Jahr 2000, ein bisschen später, ich weiß nicht genau, so ein paar Sachen kamen mir modern vor. Was aber auch sein kann, dass das viel früher, als ich das im Kopf habe, so getanzt wurde und heute so wieder hochkocht. Ja. Da kommt mein Unwissen dann vielleicht wieder zum Tragen. Aber so ein bisschen Tanzgeschichte hab ich ja auch im Kopf. Ich weiß nicht. Na ja. Jedenfalls gab das schon die erste Schere. Im Genuss dann am Ende nicht gutgetan, weil ich schon dort angefangen habe zu zweifeln. Ja. Und dann wird erst mal gefeiert, ne? Dann kommt das, was mich sehr beeindruckt hat, ewig lange Kamerafahrten ohne Schnitt. Ja, großartig. Was schon geil ist. Ja, definitiv. Also der Kameramann, der wurde dann anscheinend auch hervorgehoben in der Kritik später. Menua Bibi. Super Mann, hat er sehr, sehr gut gemacht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es improvisiert ist. Und er dann einfach hinterherhecheln musste, was jetzt, ah, passiert das, ja, passiert das. Obwohl das mit der Improvisation ja auch so eine Sache ist. Man merkt trotzdem der Kameraführung und der Geschichte an, dass der 20. Take dann ja trotzdem, da wussten dann doch alle, was passieren würde. Es gibt ja auch einfach viele klare Handlungsmomente. Es gibt ja auch Charaktere, die klar definiert sind. Einen fumanischen Typen, den fand ich total spannend, der die ganze Zeit rumläuft. Und es ist eigentlich klar, er will irgendwas flachlegen. Egal ob jung oder alt, es ist vollkommen egal. Und er baggert sich ja quasi durch diese Umgebung. Und die Kamera folgt ihm auch ziemlich lang. Er ist eigentlich sogar der Erste, der so stark im Fokus steht, wie er da rumgeht und versucht irgendwo einen Stich zu landen. Und dann gibt's, wie schon gesagt, das Geschwisterpaar, dass es eine sehr dominante Beziehung zwischen Bruder und Schwester gibt. Und die Schwester versucht, sich davon zu befreien. Also es wurden, wenn man böse wäre, könnte man sagen, Stereotypen ... Ich würde sagen, fast schon Archetypen wurden da entworfen von Leuten, die in Beziehungen zueinander stehen. Und da wurden die Charaktere stark genug herausgearbeitet. Und natürlich, klar, das waren wahrscheinlich viele Takes. Und wahrscheinlich hast du unglaublich viel Material gefilmt, dass das nicht verwendet wurde, nicht verwendet werden konnte. Und dann irgendwann wurde auch alles ein bisschen mechanischer. Aber ich hab mich aus dieser Bewegung nie rausgerissen gefühlt. Und das liegt eben auch daran, dass wirklich alles in Bewegung ist. Die Kamera ist in Bewegung, die Leute sind in Bewegung. Die Kamera ehrt, wie die Person ehrt die Kamera durch die Räume, versucht, Eindrücke aufzufangen, langweilt sich auch manchmal. Verschwindet einfach, lauscht kurz in Gesprächen. Das ist überhaupt nicht wert, lasst uns weitergehen. Und das ist eine Form der Kamera, die wir bei dem Kameramann Benoit Deby sehr oft sehen. Und der hat auch schon öfter mit Gaspar Noé zusammengearbeitet. Das ist auch so ein markantes Merkmal von dessen Filmen, dass alles in Bewegung ist, alles pulsiert, und die Kamera in Bewegung ist. Und das funktioniert natürlich unglaublich gut bei einem Tanzfilm, der von Bewegung handelt. Die Kamera tanzt ja mit dem Schauspieler im Grunde. Die Kamera tanzt mit den Schauspielern oder bewegt sich mit den Schauspielern. Weil irgendwann ist ja auch der Moment, wo von Tanz nicht mehr viel übrig ist, wo das Gefühl hast, dass es sich nur noch um zuckende, sich merkwürdig bewegende Körper handelt. Kannst du mir sagen, warum man das ausgerechnet mit einer Tanzgruppe inszenieren muss, diese Geschichte? Weil mir hat sich das nicht erklärt. Ich hab gedacht, ah, jetzt geht es um Tanz. Das ist wirklich ein großes Thema, Tanz ist für mich wirklich wichtig. Und dann nutzt er das Thema nicht. Er hat halt eine Tanzgruppe, okay. Es könnten auch die einen in dem Alkoholiker sein. Es ist nicht das Thema Tanz, es ist das Thema Bewegung. Tanz eignet sich natürlich, um das Thema Bewegung, menschliche Bewegung, auszudrücken. Das Gegeneinander, das Miteinander. Hat er nicht gut genutzt, finde ich. Man hat diese Parallele nicht zusammenbekommen. Gerade am Schluss, wenn die Party eskaliert, die Gewalt, die ausbricht, auch sowohl die sexuelle Gewalt, die physische Gewalt, finde ich sehr viel von einem Tanz auch. Es gibt immer diese Tanzmomente, wenn sie sich gegenseitig anzünden und wenn sie sich gegenseitig rumschubsen und versuchen herauszufinden, wer die Drogen in die Sankt Rija gemischt hat. Aber mein Gedanke war bei der ganzen Geschichte, dass ich Tänzern dabei zusehe, wie sie versuchen, körperliches Schauspiel zu betreiben. Und deswegen das ganze tänzerisch wird. Nicht, weil es inszeniert ist, nicht, weil das Thema das braucht, sondern weil die Tänzer einfach so funktionieren. Ich kenn ja einen Haufen Tänzer, die war ja auf der Bellet-Schule. Ich hab gesehen, wie inszeniert wird unter Tänzern, wenn es um ein Tanzstück geht. Das ist alles sehr körperlich und sehr tänzerisch bleibt das alles. Was ich sehr ästhetisch und sehr schön finde. Aber für mich hat das Thema nicht hergegeben. Aber genau dazu passt es doch. Es war doch ein unglaublich körperlicher Film. Es geht um Körper, die berauscht werden, um Körper, die zerstört werden, um Körper, die sich bewegen. Tatsächlich verlieren die Charaktere in dem Film zu einem gewissen Punkt der Eskalation. Sie verlieren ja ihre Individualität und sind einfach nur noch Körper, die sich durch ein alptraumhaftes Geschehen bewegen. Davor sind sie Körper, die sich durch ein rauschhaftes, traumhaftes Geschehen bewegen. Dieser dritte Teil des Films nach den Tapes. Es ist ja erst mal Leute feiern, Leute tanzen. Leute bewegen sich von einem Raum zum anderen, unterhalten sich manchmal ein bisschen. Dann verlieren sie ihre persönlichen Charaktermerkmale und werden einfach auch zu reinen Körpern, die sich irgendwie von A nach B bewegen. Deren Motivationen auch sich auflösen. Es geht eigentlich nur noch um Rausch und nur noch um Genuss. Das kulminiert dann ja in dieser krassen Tanzszene, wo die Kamera von oben draufhält. Ganz tolle Perspektive. Das Problem ist, sie haben es nicht entsprechend choreografiert. Ich sehe mir das Ganze von oben an, ewig lange. Was ich cool finde, wenn man das auch länger durchhält. Aber das funktioniert nur, wenn das entsprechend choreografiert ist. Das sind so viele Sachen, da hast du nix davon, wenn du von oben kommst, die sie da reingekoreografiert haben. Warum lässt du dich nicht auf die Perspektive ein und choreografierst entsprechend? Aber welche Choreografie hast du erwartet? Was wäre eine passende Choreografie gewesen? Also, was ganz viel dabei ist, sind Beinarbeit, die vom Körper verdeckt wird, weil es die Perspektive von oben ist. Wo du von da einfach nichts hast dann. Du hast einen Ausdruck, den ich erahne, weil der Tanz so gelagert ist, weil ich ihn vorher schon mal gesehen habe in der großen Choreografie. Aber auch den Ausdruck kannst du nicht ablesen davon, in der Art und Weise, wie es gemacht wurde. Spannend wurde es, wenn Leute eher auf dem Boden waren, sodass ich von oben den ganzen Körper sehen konnte und dort entsprechende Sachen passiert sind. Das funktioniert choreografisch für mich. Natürlich muss man nicht die ganze Choreografie auf dem Boden liegend machen. Du hast viele Möglichkeiten für einen Top-Shot. Aber die haben sie alle nicht genutzt. Ich sehe, was du erwartet hast. Du hast einen Tanz erwartet, der als ästhetisches Stilmittel für das Publikum umgesetzt wird. Aber in diesem Setup tanzen sie nicht mehr für ein Publikum, sondern sie tanzen für sich. Das ist schon richtig. Es ist diese persönliche Bewegung innerhalb dieser Gruppe, dass sie einfach nur noch da zusammenstehen und sich frei von jeder Choreografie bewegen wollen. Sie benutzen ihre Elemente und das, was sie gelernt haben. Aber sie tanzen nicht mehr für einen Außerhalb, sondern sie tanzen in diesem Innerhalb für sich. Die Kamera ist eher der Voyeur, der draufblickt von oben. Auch mit diesem auktorialen, fast schon göttlichen Blick. Was passiert da? Wie bewegt sich diese Gruppe? Und ohne das viel passiert, es ist quasi das große Finale. Kurz darauf sehen wir einmal die Einpländung, was für Musik gespielt wurde. Die ist sich verbeugt vor der gesamten Musik. Dann kommen noch mal Credits und dann ist der Film vorbei. Naja, dann kommt der nächste Teil. Dann kommt der nächste Teil. Aber ich habe das als finalen, ecstatischen Moment gelesen. Der letzte Moment, bevor die Kacke so richtig am Dampfen ist. Bevor das Höllenfeuer losbricht. Ich glaube, ich bin zu sehr ästhetisch dafür. Ich glaube, dass das dann auch wirklich ästhetisch passt. Wenn er schon diese Perspektive einnimmt, die ich ganz großartig finde, die ich wirklich mag. Vor allem, wenn er anfängt, sich zu drehen und mitzubewegen. Ganz tolle Perspektive, aber nicht genutzt. Da ist viel verloren gegangen. Ich glaube auch, ich meine, das ist alles Absicht. Aber dafür funktioniert dieses Konzept von Gaspar Hanoi nicht. Dass der sich die Leute nimmt, mit denen vorher nichts probt. Er hat auch die Choreografien nicht geprobt vorher. Von der ganz am Anfang Choreografie hat er 16 Takes gemacht. Und der 15. war es. Die ersten Takes waren noch wild durcheinander, weil sie noch nicht genau alles klar hatten, wer es wie wo wann passiert. Wenn du das alles aber am Set erst einführst und machst, dann hast du nicht genug Zeit, dich darum zu kümmern, das alles zusammenzubringen, was Film nun mal ist. Kamera, Schauspieler, Licht. Und das alles in einen intellektuell zusammengebrachten Rahmen zu packen. Ich weiß nicht, dann hast du nur 16 Drehtage. Und dann ... Nee, irgendwie nicht. Das ist mir geschummelt. Du lenkst gerade den Fokus so sehr auf das Choreografierte. Ich sehe da so sehr den Rausch im Mittelpunkt. Und das ist ihm gelungen. Diese Bewegung, dieses Rauschhafte, dieses Extatische und auch Eskapistische. Und wie das schließlich pervertiert wird. Und das hat funktioniert, gerade in dieser Holprigkeit. Aber das ist nicht ein ästhetischer Tanz, der auf ein Publikum ausgerichtet war, der uns jetzt noch mal befeuern soll. Sondern dass es auch was Intimes hatte. Ich glaube nicht, dass es verloren hätte, wenn man es choreografiert hätte. Ich glaube nicht, dass es verloren hätte. Ich glaube, man kann all das, was du willst, noch verstärkt und gut in einer, noch mehr auf die Kamera ausgerichteten Choreografie machen. Dieses wirklich so über alle Ufer schlagen. Natürlich ist es ein Konzept, und das ist auch adäquat. Aber es hat leider diesmal nicht funktioniert. Es teilt mir auch wirklich leid, dass es nicht funktioniert hat. Weil ich sehr zu schätzen weiß, dass man das versucht. Aber für mich, mhm. Let's agree to disagree. Ja, genau. Was folgt, ist der Mastershot, der 40-minütige. Oh mein Gott. 42 Minuten lang dadurch geht zu gehen. Das tut mir ganz furchtbar leid. Aber da kommt das nächste Problem auf. Ich liebe diese Shots, die ganz lang sind. Aber wenn deine Leute improvisieren, hast du ein Problem. Ganz kurz zur Geschichte, damit die Zuhörer sich einmal orientiert fühlen. Nachdem dieser Tanz war, nachdem zum zweiten Mal die Credits gelaufen sind, es galt die Situation. Irgendjemand hat offensichtlich Drogen in die Getränke gemixt. Alle fangen an, am Rad zu drehen. Manche sind einfach nur erschöpft. Andere werden paranoid, aggressiv, wild. Und die Kamera begleitet die Protagonistin dabei, wie sie nach und nach austicken. Und fährt dann durch diese Hallen, wo die Leute unterwegs sind, wo die Leute immer noch auf der Tanzfläche sind, sich teilweise gegenseitig jagen, sich teilweise prügeln. Und die Kamera fährt durch diese Räume. Und wir betrachten eigentlich ein Fegefeuer. Wir betrachten, wie alles eskaliert. Schmerz, Leid, Tod. Alles, was dazugehört. Mhm. Okay. Also ... There's a lot to unpack here. Also, ich liebe die langen Shots. Das ist ganz toll. Und ich finde auch, der Kameramann hat einen ganz großartigen Job gemacht. Und das Licht funktioniert. Die dunklen Momente funktionieren genauso gut wie die hellen Momente. Der sagt dann halt, ist cool, gut gemacht. Das Problem ist jetzt, ich folge dieser einen Figur. Die landet bei einem Gespräch, was gerade am Laufen ist. Eine andere Figur aus diesem Gespräch löst sich aus diesem Gespräch. Wir verfolgen diese wieder. Dann hab ich das Gefühl, an manchen Stellen, was der Improvisation zu schulden ist, dass so Lücken entstehen, wo alle denken, wie geht's jetzt noch gleich weiter? Ist das nicht fantastisch? Ich bin als Zuschauer, ich hänge in der Luft und denke ... Ja, genau. Mach doch mal bitte weiter. Und ich weiß nicht, ich hätte es vielleicht sogar genießen können, wenn ich nicht vorher schon so Probleme gehabt hätte. Dann hätte ich das vielleicht sogar genießen können. Aber so hat mir das einen Stich weitergegeben, der mich irgendwie noch weiter in Richtung Nee ist nicht gut. Und das ist wahrscheinlich die entscheidende Frage, was das mit einem auslöst. Bei mir löst das definitiv ganz viele von den Gefühlen aus, die auch bei den Protagonistinnen und Protagonisten da sind. Angst, Paranoia, Desorientierung, auch Schmerz und Leid. Und in diesen letzten 40 Minuten ist dieser Film so unglaublich immersiv, wenn es darum geht, dich langsam in die Abgründe zu begleiten. Du bist gefesselt an diese Kamera, du kannst ihr nicht entkommen. Du siehst links und rechts was, du willst links und rechts was mitnehmen, du willst wissen, was weitergeht. Wird es dieser Person gut gehen, wird sie das überleben? Was machen die jetzt? Oh Gott, da hat gerade jemand gebrannt. Was passiert da hinten? Und mein Gott, wird da gerade jemand vergewaltigt? Es war wie ein Höllenschlund. Plötzlich diese eine Frau, hat die Haare, und die Kamera geht aber weiter. Kannst du mir bitte zeigen, was wie diese Frau ist? Aber sie geht weg. Das ist eine gute Entscheidung. Das löst so viel Angst und Anspannung aus. Und dieses Gefühl, das hält sich dann auch ... Egal, wo die Kamera hinfährt, sie fährt wieder zur Tanzfläche. Dann sehen wir einen, der konsequent bis zum Ende tanzt und immer weiter seinen Körper verrenkt. Es gibt irgendwann den Punkt, was zu diesem Tanz einfach dazu gehört, wo du dich fragst, ist das überhaupt noch ein menschliches Wesen? Wie verrenkt der sich gerade? Es ist fast was von dämonischen Zuckungen an sich. Das passt so gut zu dieser Gesamtatmosphäre. Wir fahren in einen Höllenfeuer hinein. Der Film verliert auch jeglichen Realismus. Das ist kein eskalierter Drogenrausch, sondern die tiefsten menschlichen Abgründe. Ich nidje Kafka. Das sind die Referenzen, auf die wir stoßen. Der Mensch wird zum Tier, der Mensch wird zum Monster. Und da hat bei mir dadurch, dass ich leider ... Ich ahne, dass ich reingekommen wäre, wenn ich nicht von vornherein schon da und dort einen Stolperstein gehabt hätte, über den ich gestolpert bin. Ich hätte dann auch akzeptieren können, dass im Drogenrausch einer der Sachen passiert, die im Drogenrausch passieren können, sondern so viele, die das Kind electrocuted wird. Irgendwie sich am Stromding ins ... Das fand ich als junger Vater eine ganz schreckliche Szene. Nicht mal mit dem Strom, als die Mutter zu ihrem Kind sagt, ich werde dich beschützen. Sie ist natürlich auch voll auf Drogen. Sie sucht einen Raum, wo die komplette Elektrizität drin ist. Aber sie fasst da nicht an, das ist nämlich tödlich. Ich komme und hole dich wieder und schlägt die Tür zu. Man hört noch, wie das Kind schreit. Mama, ich hab Angst, lass mich nicht alleine. Die Mutter läuft weg, die Kamera geht auch woanders hin. Ab und zu fährt die Kamera an diesem Raum vorbei. Wir hören das Kind schreien, toben und gegen die Wand schlagen. Das ist so ein Schlag in den Magen, wenn man selbst ein Kind hat. Dieses Gefühl von einem Kind, wenn sie in der Lage ist zu sagen, fasst das nicht an, dann hat sie genug Bewusstsein zu sagen, eigentlich sollte ich dieses Kind nicht in diesen Raum stecken, sondern woanders hin. Es gibt genug Räume in diesen Dingen. Sie sind ja alle komplett drüber. Was sie macht, ist ja komplett irrational. Dann verliert sie den Schlüssel. Dann sitzt sie vor dem Raum und will ihr Kind rausholen. Sie hat einen Schlüssel verloren und sie wird von jemand anderem angepöbelt. Dann such den verdammten Schlüssel. Das ist ein Feuerwerk. Es passiert da und dort und dort und dort noch was. Wahrscheinlich hätte es mich mitgenommen, wenn ich diese Stolpersteine nicht gehabt hätte. Aber dadurch, dass es nicht so war, hat mein realistisches Ich die ganze Zeit gesagt, what the fuck, das auch noch? Alter, bitte. Dann stilzt sie sich den Arm auf. Die bringt sich dann an der Tür nach oben. Die fängt Feuer. Boah. Nee. Zu viel, alles zu viel. Ich fand, er hatte ein gutes Tempo dabei. Er hat diese Eskalation langsam begonnen. Das beginnt damit, dass sie den Einzigen, der keinen Alkohol trinkt, weil er ein Moslem ist, den als Erstes rausschmeißen. Der friert dann draußen, weil sie denken, der war's. Das ist noch einigermaßen nachvollziehbarer Handlung. Auch nicht, auch nicht. Du weißt doch, draußen ist ein bisschen Minusgrade. Es schneit und du wirfst da niemanden raus. Aber das kann man sich vorstellen, dass da sehr viel Alkohol unter sehr viel Drogen passieren kann. Eigentlich nicht. Okay, Alkohol und LSD zusammen. Und dann auch diese Mob-Mentalität dabei. So, jetzt haben wir's geschafft. Ich hab gerade in die Hände geschlagen, was man nicht sehen kann. Und dann eskaliert es immer weiter. Es gibt keinen richtigen Fahrplan in dieser Eskalation. Aber es ist definitiv eine Eskalationsspirale. Es ist nicht von 0 auf 100. Sondern es wird schlimmer und schlimmer. Es fängt an mit Paranoia. Und dass Leute sich gegenseitig oder sich selbst verletzen und umbringen. Und diese Spirale war so mitreißend. Weil sie die ganze Zeit an diese Kamera, an diesen Shot geknüpft war. Weil sie die ganze Zeit durch den Raum geirrt ist. Und ich hab mich da einmal komplett runterziehen lassen davon. Krass. Ich fand, das war eine Höllenfahrt. Man schnallt sich an, setzt sich hin. Und man fährt einmal mit runter und man ist total zermattet. Ich find's krass, ich find's total spannend. Dass das bei dir überhaupt nichts ausgelöst hat. Ich hätte erwartet, dass du sagst, boah, das hat funktioniert. Der war total wehgetan, aber so was will ich nicht gucken. Das war einfach nur schrecklich. Aber dass du sagst, okay, hat mich kalt gelassen. Das find ich eine spannende Reaktion. Weil ich glaube, das ist eine seltene Reaktion bei dem Film. Es hat was damit zu tun, dass ich mich irgendwann... Vielleicht hab ich mich auch nicht ernst genommen gefühlt. Zu viel. Und man muss auch dazu sagen, du bist ja jemand, der sehr gerne lange Einstellungen und langsame Erzählweise mag. Ich auch, wenn man an Magnolia denkt. Aber bei dem hat mich das... Ich hab mich oft dabei erwischt, drauf zu tippen und zu gucken, wie lang geht der Film denn noch? Wo sind denn die jetzt? Das fängt bei den Interviews am Anfang an. Für mich viel zu lang. Weil nichts Neues kommt. Die Tanzchoreografie war cool. Die hat mir gefallen. Dann die Sequenz, wo sie ganz viele Gespräche immer wieder im Gegenschnitt... Dann gehen wir mal zu den beiden, die gerade Alkohol saufen und sich nur über Sex unterhalten. Dann gehen wir zu den beiden Frauen, die da hinten noch stehen. Und dann zu den anderen. Das war auch viel zu lang am Ende. Weil auch keine Infos rüberkommen. Das ist halt das Ding. Das ist natürlich das Konzept. Aber das Konzept hat mir nicht gut getan. Es gibt keine Geschichte. Es ist mehr anders vor sich hin. Ich fand es am Anfang mit der Langsamkeit, ich fand es in den Tape-Aufnahmen, das war auch zu viel. Da gab es den Punkt, wo ich dachte, jetzt könnte aber der Umbruch stattfinden. Und vor allem, wenn du danach noch mal draufschaust, ich glaube, 10-15 Minuten ist es kurz. Das ist deutlich kürzer, als es einem vorkommt. Aber beim Rest des Films war es so, dass die Bewegung einfach zu prägnant und zu mitreißend war. Als dass ich langweilig gewesen wäre. Und gerade in den letzten 40 Minuten war es sogar beim zweiten Mal eher so da. Ich dachte, oh krass, das ist schon vorbei. Ich erinnere mich, da kommt jetzt der Höhepunkt. Das ist zu Ende, krass. Das kam einem dann doch relativ kurz vor, Okay. Mich hat das jedenfalls immer wieder rausgerissen, dass ich gedacht habe, ja, okay, kommt nichts Neues. Ich würde gerne weiter wissen, was mir der Film noch zu erzählen hat. In diesen ganzen Einstellungen von den Gesprächen, die ja wirklich sehr frontal bühnenartig aufgebaut sind vor einem klar definierten Abschlusshintergrund, vor einem Vorhang oder vor einem Net. Keines dieser Bilder hat Tiefe. Die sind alle ein enger für sich genommener Raum, was ich als Kameramann immer vermeiden will. Ich will ja eigentlich immer einen Raum, der nach hinten aufgeht, um eine Weite und eine Großzügigkeit zu entwickeln. Kamerspiel. Aber er macht das ja absichtlich, genau, um dieses Kamerspiel zu haben und um diese bedrückende Situation zu haben. Das schafft er damit auch. Aber dadurch, dass es so lang ist und ich mit dem Gesprächspartner fünf- oder sechsmal gehe und die auch nach dem zweiten Mal nichts Neues über ihre Beziehung zur Gruppe zu erzählen haben. Beim ersten Mal ist klar, okay, das erzählt mir jetzt, was die verhandeln für den Abend. Aber beim zweiten, dritten Mal, wo ich hinschneide oder am vierten oder fünften Mal, kommt nichts Neues. Das ist auch ein bisschen eine Vorbereitung für die Eskalation. Man fühlt sich mit den Leuten gefangen. Man ist mit diesen Leuten eingesperrt. Die Leute, die seit mehreren Wochen trainieren, wie die gezwungen sind, zusammen zu funktionieren, ist man jetzt auch gezwungen mit ihnen zusammen zu funktionieren. Ist eine adäquates Mittel. Muss bloß nicht jedes Mal passieren, in jedem dieser Abschnitte, weil jeder Abschnitt sehr lang ist. Ja. Ich hab teilweise, was ich dem Film auch nur zuguthalten kann, man spürt auch die Langweile der Leute, wenn einer redet und der andere, man sieht dem anderen quasi, was redet der jetzt schon wieder? Oder die Themen immer um sich selbst kreisen. Die beiden, die über Sex reden, die die ganze Zeit nur sagen, ah, guck mal da, der Arsch, und guck mal da. So genervt. Dieses Ausgeliefertsein dieser Gruppe und den einzelnen Personen ist natürlich auch eine Vorbereitung auf die Eskalation nachher. Man ist mitgefangen. Ja, das stimmt. Und ich finde es auch, wie gesagt, das ist ein adäquates Mittel. Aber das ein bisschen ausgereizt dadurch, dass jede Einstellung so ultralang war. Na ja. Was wollte uns der Autor sagen? Und damit zum Genre, in dem das Ganze stattfindet, oder zum filmhistorischen Rahmen. Gaspar Noé ist ein Regisseur der New French Extremity. Die eigentlich, eigentlich müsste man Old French Extremity sagen, weil Gaspar Noé ist eigentlich einer der wenigen, die das wirklich überlebt haben. Das war eher so Anfang der 2000er Jahre, Anfang des Jahrtausendwechsels, gab es sehr viele Regisseurinnen und Regisseure, die Extreme ausgelotet haben im französischen Kino. Und zwar in verschiedenen Genres, der Horrorfilm war definitiv der, der am prominentesten dabei war. Aber drumherum ist eine Menge passiert, gerade was das Spiel mit Sex und Gewalt betrifft. Und es sind interessante Filme in dieser Zeit entstanden. Und alle Filme tragen im Kern, allerdings schon mit sich, dass sie vor allem ausloten wollen, wie viel kann ein Film zeigen? Und wie schafft es ein Film beim Publikum, maximales Unwohlsein auszulösen? Und zwar, egal ob Thriller, ob Horror oder Erotikstreifen, alle Filme der damaligen Zeit haben daran gearbeitet. Und ich hab am Anfang gesagt, Climax ist nicht der schlimmste Film von Gaspar Noé, der hat mit Irreversibel und Enter the Void zwei Filme gemacht, die noch mal deutlich radikaler sind, wenn es darum geht, Unwohlsein auszulösen. Ich habe, glaube ich, beide Filme gesehen. Und fand sie wirklich gut. Du fandest Enter the Void gut? Ich glaube, ja. Das ist mein Lieblingsfilm von ihm. Ich bin nicht dazu gekommen. Ich wollte eigentlich noch mal reingucken, ob das wirklich die beiden Filme sind, die ich gesehen habe. Bevor ich den Film gesehen habe, Climax, wusste ich nicht, dass das von Gaspar Noé ist. Mhm. Und im Nachhinein tat es mir dann richtig dolle Leid. Dass du ihn nicht mochtest? Ja. Weil ich gedacht habe, verdammt, das ist doch Gaspar Noé. Das muss man doch irgendwie ... Wenn ich mich richtig erinnere, es schafft es in den anderen Filmen, einen reinzuziehen und einen so richtig fertig zu machen. Weißt du, diese extreme ... diese extreme Gefühlswelt zu erzeugen im Zuschauer. Das war so schade, dass das in dem nicht funktioniert hat. Irreversibel ist ein berüchtigster Film. Da erzählt er die Geschichte einer Vergewaltigung. Und dem anschließenden Rache-Mord. Und zwar erzählt er sie rückwärts von diesem Rache-Mord bis hin zu der unschuldigen harmonischen Zeit, bevor die Vergewaltigung stattfindet. Der Film hat vor allem für Aufsehen gesorgt, weil in seinem Zentrum die Vergewaltigung steht, die äußerst realistisch und äußerst brutal ausgedehnt wurde und erzählt wurde. Und Enter the Void ist eigentlich auch schon ein Film, der einen Film gemacht hat, als dieser Trend des New-French-Extremity vorbei war. Das ist mein liebster Film von ihm. Der dauert drei Stunden oder so. Das ist die POV einer Seele, nachdem jemand gestorben ist. Und dann sieht die POV der Seele, wie sie durch die Zeit und durch die Dimension reißt. Das ist eigentlich so diese Sekunde des Todes, der gezeigt wird. Und der Höhepunkt von Enter the Void, der eigentlich ein spiritueller Porno ist, ist die POV einer Vulva, wie sie von einem Penis penetriert wird. Und zwar genauso, wie ich es jetzt sage, grafisch, pornografisch. Man sieht wirklich, wie der Penis in die Vulva eindringt und zustößt. Ich weiß es. Ein total grotesker Film, ein total überladener Film. Da gibt es auch diese langen Kamerafahrten. Aber das sind halt so transcendentale Kamerafahrten, weil sie von Zähne zu Zähne, von Kindheit zu irgendwelchen Schreckensvisionen fahren. Das ist ein total krasser Film. Von wann sind denn die? Ich versuche gerade, rauszufinden, ob ich die wann nicht gesehen haben könnte. Weil deine Beschreibungen mir nicht so sehr viel sind. Also, irreversibel ist von Anfang 2000 da, wenn ich mich richtig erinnere. 2002, das war kurz im Memento-Zeitraum. Es wurde auch verglichen, weil die Erzählweise dieselbe ist. Weil er auch von vorne nach hinten erzählt. Und Enter the Void war 2009. Es war eigentlich, wie gesagt, in der Zeit, als dieses New-French-Extremity-Ding schon so ... zumindest nicht mehr so in der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Okay. Ich glaube, ich muss einfach noch mal reinschauen und mal gucken. Aber mein Gefühl sagte mir, ach, Mann, Gaspar Noé war doch eigentlich ganz gut. Er ist halt ein sehr extremer Regisseur. Und in seinen Filmen geht es immer darum, er hat immer die Extreme ausgelotet. Und er hat immer versucht, maximale Emotionen, und zwar negative Emotionen zu erzeugen. Keiner von seinen Filmen ist angenehm zu schauen. Was vollkommen in Ordnung ist. Ich habe damit gar kein Problem. Ganz im Gegenteil, ich bin froh, wenn es mal jemand schafft, das wirklich gut hinzukriegen. So. Ach. Naja. Darum tut es mir halt auch leid. Deswegen habe ich dann auch noch mal recherchiert, wie er das gemacht hat. Und ich glaube, was mir das so ein bisschen erklärt hat, warum ich Probleme damit hatte, war, dass ich auch noch gelesen habe, dass er sich die Leute zusammengecastet hat, die Tänzer. Ja. Und dann hat er sich mit denen hingestellt am Drehtag, am 1. Und hat ihnen gesagt, denkt euch aus, wie ihr schockieren wollt, wie ihr extrem sein wollt, wie ihr ... Weißt du? Und dann diese Regieanweisung zu sagen, ach, überlegt euch mal, und dann junge Menschen neigen sowieso dazu, ah, und dann mache ich was ganz Abgefahrenes, weißt du? Und dann kommen natürlich nur solche Sachen bei raus. Und ich finde nicht, dass man den Schauspielern und vor allem noch so jungen Schauspielern, die noch nicht mal Schauspieler sind, sondern Tänzer überlassen sollte, die Geschichte zu schreiben. Es funktioniert in der Form, in dem Zusammenhang leider nicht. Genau in diesem Film funktioniert das. Das war für mich die entscheidende Frage, ob es funktioniert bei mir. Der Film hat sehr viele Emotionen ausgelöst. Und ja, es gibt diesen Moment, wo er auch over the top ist. Aber selbst dieses groteske, bizarre, dieses over the top hat funktioniert einfach, weil es klar war, wir verlassen hier jede reale Ebene, und wir bewegen uns einfach in einem merkwürdigen Fegefeuer zwischen zuckenden Körpern, zwischen Gewalt und Wahnsinn. Und ja, auch ein bisschen unfreiwilliger Komik. Das hat Enter the Void auch spätestens, den hab ich im Kino gesehen, als dann diese POV kam. Ich komm über diese Zähne nicht hinweg. Diese Vulva-POV. Und das ganze Publikum hat aufgelacht, aber es war ein befreites Auflachen. Gaspar Noé ist in meinen Augen einer der wenigen Regissöre unserer Zeit, der das Konzept Katarsis noch mal weitergedacht hat. Einige andere Autoren der New French Extremity haben das auch geschafft. Und dafür schätze ich diese Art des Filmemachens total, wenn das Ergebnis schmerzhafte, groteske, übersteigerte Filme sind, sind das Filme, die einen sehr reinigenden Effekt haben. Lass uns kurz übers Ende reden. Ja. Da war ich befriedet. Befriedet? Weil ich dann, die Kamera dreht sich irgendwann um. Und ich dachte erst, noch so ein Effekt. Und dann hat er aber das konsequent durchgezogen und ab einer bestimmten Länge, dass dieser Effekt durchgezogen wurde, dass die Kamera immer Kopf steht, die ganze Zeit. Hat das eine ganz eigene, tolle Ästhetik. Und eben auch diese Auflösung auf irgendeine Art und Weise. Ich weiß nicht genau, warum er das schafft, aber irgendwie löst er für mich das Ganze ein bisschen auf. Und ich kann wieder ein bisschen atmen. Komischerweise, weil eigentlich so eine verkehrte Kameraperspektive immer bedeuten müsste, dass ich beunruhigt bin. Aber es ist Zermatterung einfach auch. Ja, ja, ja. Und das fand ich ein sehr gutes Mittel. Es hat funktioniert. Einfaches, aber sehr wirksames Mittel. Und das hat mich auch von der Kameraarbeit ein bisschen mit überzeugt dann auch. Der Film ist ja auch so. Katastrophentourismus, ne? Oh Gott, ja. Das Katastrophentourismus ist irgendwie eine merkwürdige Mischung von Schafffilm und Horrorfilm irgendwie unentschlossen, ob Kammerspiel oder ob großes, opulentes Höllenfeuer. Aber am Schluss gibt es dann ja fast diesen erlösenden Aspekt. Wenn die Party vorbei ist, dann sieht man ja auch noch mal, wie Polizisten reinkommen und sich einmal den Schauplatz angucken. Und die Kamera fährt dann noch mal drüber oder drunter, wie auch immer man es sagen will. Und es ist irgendwie so, man ist erschlagen, man ist zermattert. Ich finde, für mich war die Kamera am Schluss vor allem, ich lieg genauso wie der Film erschöpft am Boden. Es war jetzt so, okay, das reicht. Jetzt ist einmal ordentlich durchgerüttelt worden. Und jetzt lieg ich da unten. Das ist okay. Aber dann liegt die Frau da, hat sich erstochen, die sich ihren Sohn verloren hat in diesem Stromkastenraum da. Und der Polizist sagt völlig unnötigerweise, sie ist tot. Ja, das stimmt. Sie ist tot. Was? Ja, natürlich ist sie tot. Das sehen wir. Das ist die unfreiwillige Komik, die bei Gastbanur immer wieder rauskommt. Was sich wahrscheinlich auch nicht vermeiden lässt, wenn man so viel schockieren will, das ist auch ein Ding, was Lars von Trier hat. Ich liebe Lars von Trier. Ich lasse mich immer wieder von ihm mitreißen, von seinem Pathos, von seinen Emotionen und so weiter. Aber niemand kann mir erzählen, dass er so viele komische Momente hat, weil er zu viel schockieren und zu viel aufreiben und auflösen will. Jeder Film hat das von ihm. Bei Lars von Trier musste ich wirklich Pause machen. Immer zwischendurch. Ja. Ich hab wirklich ... Mir war so schlecht, dass ich mich hätte übergeben wollen. Bei welchem Film bist du gerade? Mir fällt der Titel gerade nicht ein. Antichrist? Ja, genau. Ich glaube, Antichrist war es. Wo sie im Wald ... Ja, genau. Und ich musste wirklich ... Hab mit einem Freund zusammen gesehen und hab gesagt, kannst du mich so kurz ausmachen? Ich leg mich mal kurz hin, mach mal fünf Minuten Pause und dann können wir zu Ende gucken. Ich war wirklich wie, als wenn ich gerade live bei einem Unfall gewesen wäre und kein Blut gesehen kann. Das finde ich in Gaspar Noyes Filmen und auch in Climax auch. Es ist teilweise albern, es ist teilweise trüber, es ist teilweise unfreiwillig komisch. Das ist ein Film an entscheidenden Stellen und macht einfach fertig. Und dieses Fertigmachen hat was sehr Kathartisches. Was du offensichtlich auch schätzt. Nur bei Gaspar Noyes hat es nicht funktioniert. Du weißt, solche Filme durchaus zu schätzen, wenn du sagst, du magst Lars von Trier. Definitiv, ja. Lars von Trier hat das in einer extremen, in einer Erbarmungslosigkeit, die ... Puh. Lars von Trier hat einfach einen anderen Ansatz, in die Filme reinzugehen als Gaspar Noyes in diesem Film. Irgendwie, weiß ich nicht, der Zugang. Du bist fast einen anderen, weiß ich nicht. Obwohl dann eben tatsächlich, wenn du das so sagst, mir fällt das jetzt auch ein bisschen auf, nachdem ich im Kopf krame, was du meinen könntest, mit unfreiwillig komischen Momenten, aber das stimmt schon. Wenn in Antichrist der Fuchs sagt, ja, Chaos reigns, das ist so albern. Oder auch bestimmte Motivationen von bestimmten Figuren, die nicht so wirklich ... Und bei Lars von Trier gibt es halt am Anfang, ich meine, das ist eine wunderschöne Szene, aber wir sehen trotzdem den Koitus in der Dusche. In Zeitlupe. Was läuft im Hintergrund? Tristan? Ich weiß es nicht mehr. Kann sein, ja, Tristan. Und dann sehen wir das Kind zum Fenster in Zeitlupe. Das haben ganz viele Regisseure der New French Extremity und Lars von Trier das auch. Es ist teilweise einfach zu viel, aber es ist so reinigend. Und es tut so gut. Ich komm mit dieser Zeitlupe von Lars von Trier, bin ich sehr gut klargekommen. Aus irgendwelchen komischen Gründen, weil eigentlich könnte man schon echt, gefühlt stundenlang guckt man denen ja in Zeitlupe zu, wie das passiert. Du denkst dir, ja, ich hab verstanden, worum es geht. Ich weiß jetzt, was passiert und was passieren wird. Das ist super, richtig gut. Für mich ganz toll. Was ich Gaspar Noé zur Gute halten würde, ist, dass er ein bisschen impulsiver und ein bisschen, wenn man böse wäre, könnte man sagen, weniger pseudo-intellektuell ist als Lars von Trier. Lars von Trier gibt sich immer eine sehr große Metaebene. Und Lars von Trier versucht immer sehr viel Politik, Philosophie und Weltgeist in seine Filme zu packen. Während Gaspar Noé deutlich impulsiver, körperlicher und deutlich weniger akademisch rangeht an diese Themen. Das stimmt, ja. Ja, dadurch könnte man natürlich eine Unmittelbarkeit herstellen, die vielleicht bei Lars von Trier nicht gegeben ist. Ja, wenn er mich denn unmittelbar erreicht hätte. Gut. Na gut, dann möchtest du noch einen Schlusswort sagen zum Film? Oder war's das? Das war der Film von Lars von Trier. Er ist ein großartiger Film. Ich kann ihn nur empfehlen. Aber ein Film, der offensichtlich nicht bei jedem, aber bei vielen Schmerzen hinterlassen wird. Viel Spaß. Und bis zum nächsten Mal. Tschüss. Tschüss. Johannes. Was hast du denn für mich für die nächste Episode? Für die nächste Episode, ich hätte für dich, ich breche ein bisschen unsere Regeln. Wir wollen ja eigentlich nur Filme besprechen. Schon in Folge 4? Es tut mir ein bisschen leid, aber es ist einfach, mir ist es wieder aufgefallen, meine absolute Lieblingsfolge einer Serie. Und ich muss dazusagen, bevor du Einspruch erhebst, dass die Serie diese Folge funktioniert, ohne dass man den ganzen anderen Kram drum rum kennt. Also es ist eine Standalone-Folge, finde ich. Vielleicht widersprichst du mir dann auch noch. Und zwar von Doctor Who, Vincent and the Doctor. Du weißt, ich bin überhaupt kein Doctor Who-Fan. Ja, ich weiß das. Ich gebe mich da ein bisschen in Risiko. Okay, neue Doctor Who-Serie oder alte 70er-, 60er-, 50er? Nee, das ist die neue, das ist der elfte Doctor. Das ist auch mein Lieblings-Doctor, Matt Smith. Okay, ich bin sehr gespannt. Was hast du denn für mich? Ich mache eine kleine Zeitreise. Und zwar habe ich für dich einen Film aus den 70ern. The Wizard of Gore. Hast du gerade Gore gesagt? Ich habe Gore gesagt. Ich glaube, er wird dir sehr gut gefallen. Nein, glaube ich nicht. Ich glaube, wir werden sehr viel Spaß haben, wenn wir noch ein paar Exploitation-Films. Toll. Na gut, dann bis nächste Woche. Bis nächste Woche. Tschüss. Ciao.
